Book Title

Die Berliner Wachstafeln P. 10508 – 10512

Scholia Minora und grammatikalische Passagen

Franco MONTANARI

Davide MURATORE

Fabian REITER

Unter den Wachstafeln der Berliner Papyrussammlung ragt eine Gruppe von vier zu einem Kodex gehörigen Tafeln heraus, die von singulärer Bedeutung sind1 : Die Tafeln, deren Herkunft unbekannt ist, bilden das umfangreichste der wenigen bislang bekannten Beispiele für die Überlieferung von Homer-Scholien auf Holzoder Wachstafeln2. Im Jahre 1907 wurden sie von Ulrich von Wilamowitz-Moellendorf und Wilhelm Schubart kurz beschrieben, die bereits erkannten, daß die Tafeln Worterklärungen zu Passagen aus dem 11., 13., 14. und 15. Gesang der Ilias enthielten, und die Schrift in das 2. Jh. n.Chr. datierten3. Aristide Calderini (1921) publizierte dann aufgrund von Transkriptionen Schubarts die lesbaren Textpassagen auf je einer Seite der Tafeln P. 10508, 10509 und 10511, während die am stärksten abgeriebenen Tafeln P. 10510 und 10512 unbearbeitet geblieben sind. Nach der partiellen Erstedition durch Calderini haben die Tafeln zwar Eingang in die Kataloge schulischer und scholastischer Texte von Giorgio Zalateo, Lucia M. Raffaelli und Raffaella Cribiore gefunden, sind ansonsten aber nicht näher erforscht worden4.

Im Rahmen eines vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) und dem Ateneo Italo-Tedesco geförderten Gemeinschaftsprojektes (Vigoni-Projekt) zwischen Ägyptischem Museum und Papyrussammlung (ÄMP) Berlin und der Universität Genua arbeiten wir an einer vollständigen Edition der Tafeln, die in einem Band der Berliner Klassikertexte (BKT) publiziert werden soll5. Im folgenden präsentieren wir erste Resultate der Kooperation.

1) Inhalt und Aufbau der Tafeln

Tafel P. 10508 enthält auf beiden Seiten Homer-Scholien : Auf dem bisher unpublizierten Rekto, d.h. der Seite, auf der die Löcher sich auf der linken Seite befinden, sind einzelne Erklärungen zu Wörtern aus dem 10., 11. und 13. Gesang der Ilias verzeichnet. Die Lemmata und Scholien sind hier in großzügiger Weise in fünf verschiedenen Blöcken geschrieben, die durch horizontale Striche und Freiräume voneinander getrennt sind. Auf dem Verso dagegen finden sich in systematischer Weise Scholien zu einer zusammenhängenden Partie von Il. 14, 227-521 sowie zu einem einzelnen Vers aus dem 13. Gesang (612). Der Aufbau der Scholien ist schlicht und verändert sich nicht : Auf das homerische Wort folgt direkt eine « Übersetzung » in prosaische Sprache, von der durch einen kurzen Schrägstrich das nächste Lemma abgetrennt ist, z.B. in Z. 15 : πλῆτο προсεπέλαсεν / 14, 438. Akzente, Spiritus und weitere diakritische Zeichen finden sich weder hier noch auf den anderen Tafeln.

Nur eine weitere Tafel ist nach Zusammensetzung der beiden Fragmente P. 10511 und 10512 vollständig. Hier sind auf der Versoseite (Löcher rechts) in dicht aufeinander folgenden Zeilen homerische Wörter aus dem Bereich von Il. 11, 19-263 mit ihren Erklärungen geschrieben. Auf dem Rekto dagegen, dessen Oberfläche zu großen Teilen abgerieben und daher unleserlich ist, befinden sich keinerlei Scholien. Vielmehr scheint die in Z. 1-2 von uns entzifferte Passage τ̣α̣с̣с̣ό̣μεν̣α̣ δὲ̣ μετ̣ὰ̣ τ̣ῶ̣ν φωνηέντ̣ω̣ν̣ | φων̣ὴ̣ν̣ ἀ̣π̣ο̣τ̣ελεῖ einem Satz aus dem grammatikalischen Werk (τέχνη γραμματική) des Dionysios Thrax zu entsprechen (1, 1, 11, 2-3 Uhlig) : сύμφωνα δὲ †λέγονται, ὅτι αὐτὰ μὲν καθ’ ἑαυτὰ φωνὴν οὐκ ἔχει, сυνταссόμενα δὲ μετὰ τῶν φωνηέντων φωνὴν ἀποτελεῖ. Da die erste Zeile der Tafel mitten im Satz einsetzt, muß es sich um die Fortsetzung von einer anderen Tafel handeln. Ob wir ein Originalzitat des Dionysios oder nur eine gleichlautende Stelle aus einem anderen grammatikalischen Werk vor uns haben, ist bisher unklar. Die Identifizierung der Stelle ist von hohem Interesse, da die einzigen direkten Zeugnisse für Dionsysios Thrax P.Hal. inv. 55a und PSI I 18 erst aus dem 5. Jh. n.Chr. stammen6.

Allerdings bietet auch P.Osl. II 13 (= Wouters [1979], Nr. 9 ; 2. Jh. n.Chr.), die Versoseite eines Papyrus, der auf dem Rekto (P.Osl. 12) Homer-Scholien enthält, grammatikalische Passagen, die zu einem guten Teil dem unter Dionysios’ Namen überlieferten Text entsprechen ; diese befassen sich unter anderem gerade mit der auf der Wachstafel nachweisbaren Thematik7. Die Zusammenstellung von grammatikalischer Abhandlung und Scholia Minora begegnet auch in der genannten Parallele P. Bingen 8, die vor den Scholien Passagen aus einer grammatikalischen Abhandlung enthält, die angesichts der Definition der Konjugationsklassen mit Dionysios Thrax verwandt zu sein scheint, sowie in PSI I 18 und 19 (Dionysios Thrax und Ilias-Glossar), die zu ein und demselben Kodex gehören.

Die Tafeln P. 10509 und 10510 sind beide nur zur Hälfte erhalten. Auf P. 10510 finden sich auf der einen Seite Scholien zu Il. 10, 599-799. Die andere Seite enthält auf dem Kopf stehend einen zusammenhängenden Text. Einige von uns entzifferte Stichwörter wie сύμφωνα und φωνήεντα, δίχρονα und δίсημα scheinen dafür zu sprechen, daß wir hier einen grammatikalschen Traktat vor uns haben. Die Drehung um 180 Grad könnte ein Indiz dafür sein, daß die beiden Beschriftungen auf Vorder- und Rückseite nicht in unmittelbarem Zusammenhang standen. Der Wechsel der Schriftrichtung erschwert die Bestimmung von Rekto und Verso, denn beide Seiten haben die Löcher für die Bindung auf der rechten Seite. Die Analogie zu Tafel P. 10511+10512, wo auf dem Verso die Scholien und auf dem Rekto der grammatikalsche Text stehen, und zu P. 10508, wo ebenfalls auf dem Verso die systematischen Scholien verzeichnet sind, legt jedoch die Vermutung nahe, daß in gleicher Weise auch P. 10510 auf dem Verso die Scholien trägt, auf dem Rekto kopfstehend dazu Passagen einer grammatikalischen Abhandlung.

Auch P. 10509 ist auf den beiden Seiten in umgekehrter Schriftrichtung beschrieben, auf der einen Seite mit Scholien zu Il. 15, 17-191, auf der anderen möglicherweise wiederum mit einem grammatikalischen Text, doch die wenigen auf der abgeriebenen Oberfläche bisher von uns entzifferten Wörter χρονικήν und πνευματικά sind in dieser Hinsicht keineswegs eindeutig. Wiederum ist angesichts des Befundes der anderen Tafeln zu vermuten, daß die Scholien auf die Versoseite geschrieben waren, der andere Text kopfstehend auf das Rekto.

2) Abfolge der Tafeln

Die Frage nach der Abfolge der Tafeln und der verschiedenen Beschriftungen ist nicht leicht zu beantworten8. Immerhin spricht die identische Struktur der Scholientexte auf den Versoseiten der Tafeln dafür, daß die vier Tafeln, wahrscheinlich zusammen mit weiteren, ein einheitliches Schreibheft bildeten. Da die Tafeln von verschiedenen Händen beschrieben sind, besteht keine Notwendigkeit für die Annahme, daß sämtliche Texte zu demselben Zusammenhang gehörten. Vielmehr könnten sie aus verschiedenen Stadien der Beschriftungsgeschichte stammen. Möglich scheint etwa das folgende Szenario der Abfolge der Beschriftungen :

a) Zunächst könnten die Rektoseiten des Wachstafelheftes für unzusammenhängende Homer-Scholien zu Wörtern verschiedener Gesänge genutzt worden sein, wovon sich nur noch das Rekto von P. 10508 erhalten hätte.

b) Darauf mag der Besitzer die Versoseiten für die systematische Niederschrift kontinuierlicher Scholien entlang des Homertextes verwendet haben, von denen die vier Versoseiten erhalten blieben. Ob die Reihenfolge der Aufzeichnungen der Abfolge der Gesänge entsprach, und wie viele Tafel fehlen, läßt sich nicht erschließen.

c) Mehrere Rektoseiten könnten zu einem späteren Zeitpunkt ausgewischt worden sein, um Passagen aus einem oder mehreren grammatikalischen Werken aufzunehmen. Mindestens zwei Tafelvorderseiten wurden vor der Neubeschriftung auf den Kopf gedreht. Die angeführten Parallelen P. Bingen 8, P.Osl. 12+13 und PSI I 18+19 mit Erklärungen des Homertextes in naher Umgebung von grammatikalschen Passagen gibt zu berücksichtigen, daß beide Themen durchaus von einem und demselben Benutzer des Wachstafelbuches behandelt worden sein könnten.

Als sicher kann die vermutete Reihenfolge der Beschriftungsstadien nicht gelten. Die weitere Entzifferung mag jedoch zu einer Präzisierung oder Modifizierung der Hypothese verhelfen.

3) Die Scholien im Licht der bisherigen Zeugnisse

Die Berliner Wachstafeln stammen wahrscheinlich aus dem 2. Jh. n.Chr. und gehören damit in den Zeitraum, aus dem uns der größte Teil an Zeugnissen für Scholia Minora zur Ilias überliefert ist. Die Statistik von Lucia Raffaelli, die auf den von den jeweiligen Editoren vorgeschlagenen Datierungen beruht, erkannte unter den 54 damals bekannten Zeugnissen 35, die dem 2.-3. Jh. n.Chr. zuzuordnen waren (64%)9. Die seitdem publizierten Papyri haben dieses Bild nicht wesentlich geändert : 24 Texte sind von ihren Herausgebern auf das 2. Jh., 9 auf das 2./3. Jh. und 15 auf das 3. Jh. datiert worden ; insgesamt sind dies 47 von den 73 bisher bekannt gewordenen Zeugnissen, d.h. etwa 66%.

Bemerkenswert an den Berliner Tafeln ist abgesehen vom Material die Tatsache, daß sie Scholien zu Partien späterer Gesänge des Epos bieten, für die bisher nur wenige Zeugnisse an Scholien vorliegen10. In den dreißig Jahren seit Raffaellis Studie haben sich diesbezüglich die Proportionen allerdings in einigen Punkten geändert. So besitzen wir etwa heute 18 Zeugnisse an Scholien zu Gesang 2 (= 23% aller Papyri mit Ilias-Scholien) gegenüber 7 bekannten im Jahre 1984 (= 12,5% der Gesamtsumme), und wir haben zwei Zeugnisse für Gesang 19 sowie eines für Gesang 22, für die 1984 kein einziges überliefert war. Weiterhin ohne Scholienpapyri verbleiben die Gesänge 12, 18 und 23-24. Bezüglich der von den Tafeln abgedeckten Ilias-Passagen kennen wir nur einen ein-zigen Papyrus mit Scholien zu Gesang 10 (P.Mil.Vogl. III 119), einen mit Scholien zu Gesang 13 (P.Ryl. III 536), zwei weitere für Gesang 15 (P. Berol. inv. 13230 und P. Vindob. inv. G 39940v) und drei weitere für Gesang 11 (P. Alex. inv. 28759, P. Med. inv. 72.13 und P.Amh. II 19). Für Gesang 14 ist unsere Tafel P. 10509 das einzige bekannte Zeugnis. Die Textpartien der genannten Zeugnisse überlappen sich allerdings nicht mit den Passagen der Berliner Tafeln.

4) Häufigkeit der Scholien

Bezüglich der Frequenz der Scholien macht Raffaelli insbesondere auf drei Tendenzen aufmerksam : erstens, daß die Frequenz der erklärten Lemmata sich mit der Abfolge der Gesänge allmählich verringere ; zweitens, daß die Dichte an Scholien, Hinweis auf eine höhere Sorgfalt bei der exegetischen Arbeit, zu Beginn der Gesänge am höchsten sei ; und drittens, daß die Frequenz der Glossen in den jüngeren Zeugnissen höher sei als in den älteren11.

Auf den Berliner Wachstafeln ist die Situation folgendermaßen : P. 10508 enthält auf dem Verso – vom noch unpublizierten Rekto, welches wie oben gesagt verstreute Scholien zu den Gesängen 10, 11 und 13 enthält, sehen wir momentan ab – Scholien zur zweiten Hälfte von Il. 14, 227-521. Ungefähr 300 Versen sind 32 Scholien gewidmet, zu denen sich ein Scholion zu 13, 621 gesellt. Durchschnittlich ergibt sich also eine Frequenz von gut einem Scholion pro 10 Verse. Tatsächlich aber verdichten sich die Scholien in drei Blöcken, nämlich in den 45 Versen von 227-271 13 Scholien (= 3 Scholien / 10 Verse), in den 40 Versen von 333-372 6 Scholien (= 1,5 Scholien / 10 Verse) und in den 109 Versen von 413-521 14 Scholien (1,3 Scholien / 10 Verse). Zwei größere Textpassagen, die Verse 272-332 und 373-412, bleiben ohne Erklärungen.

Auf P. 10509 sind auf dem Verso mindestens 20 Scholien zu Il. 15, 17-191 (2,3 Scholien / 10 Verse) lesbar, auch hier allerdings in ungleichmäßiger Verteilung : In Z. 2-6 finden sich mindestens 7 Scholien für die 11 Verse von 17-27 (6,4 Scholien / 10 Verse), danach läßt die Frequenz stark nach (einzelne Scholien zu den Versen 42, 84, 91, 106, 132, 137, 140, 153, 180, 185 und 191)12.

Auf P. 10510v haben wir bisher knapp 30 Scholien für Il. 13, 599-799 identifiziert (ca. 1,5 Scholien / 10 Verse), die relativ gleichmäßig auf die Partie verteilt sind13. In den ersten 15 Zeilen von P. 10511+10512v (der Rest der Tafel ist nicht sicher lesbar) sind etwa 27 Scholien zu den 116 Versen von Il. 11, 136-251 identifizierbar (= 2,3 Scholien / 10 Verse). Auch hier sind zwei Blöcke zu erkennen, nämlich die Verse 136-183 mit 19 Scholien (4,2 / 10 Verse) und die Verse 253-261 mit 8 Scholien (9 / 10 Verse), zwischen denen eine größere Passage (184-252) unkommentiert bleibt.

Das Auftreten mehr oder weniger ausgedehnter Passagen ohne Scholien hat Parallelen sowohl in der papyrologischen Überlieferung als auch in der mittelalterlichen Überlieferung der D-Scholien. In P. von Scherling G 99 finden sich 12 Scholien zu Il. 9, 454-468. Die Verse 458-461 bleiben ohne Scholien. Es sind die berühmten Verse, in denen Phoenix über die Möglichkeit nachdenkt, den eigenen Vater zu ermorden, die von Aristarch eliminiert wurden und in der mittelalterlichen Tradition des Epos nicht enthalten sind14.

In P.Oxy. XLIV 3159 (3. Jh. n.Chr.) folgen auf eine Zusammenfassung des 7. Gesangs in Prosa in der zweiten Kolumne 17 oder 18 Scholien zu den Versen 4-80 (?) desselben Gesangs. Es fehlen gänzlich Scholien zu den Versen 10-25 – einer Passage, die auch in der mittelalterlichen Tradition geringe Erläuterung erfahren hat – und zu den Versen 65-79 (65-69 sind auch in den D-Scholien ohne Glossierung)15. In P. Haun. I 3 (3. Jh. n.Chr.) dagegen, der 17 Scholien zu den Versen 1-48 des 5. Gesangs bewahrt (3,6 / 10 Verse), fehlen gänzlich Scholien zu den Versen 26-38, ohne daß diese Lücke einer entsprechenden in der mittelalterlichen Scholienüberlieferung entspräche. Auch den Passagen ohne Scholien in den Wachstafeln entsprechen keine Lücken an Scholien in der mittelalterlichen Tradition.

5) Reihenfolge der Scholien

Bezüglich der Abfolge der Scholien gibt es auf den Wachstafeln einige Vertauschungen zu verzeichnen. Auf P. 10508 und P. 10511+10512 finden sich je drei Irrtümer dieser Art :

a) Σ14, 335 πεφράδοι steht versehentlich hinter dem zu 14, 340 ἐπεί νύ τοι.

b) Σ14, 414 ἐξερίπῃ steht zwischen Σ14, 413 сτρόμβον und Σ14, 413 περὶ δ’ ἔδραμε.

c) Vor dem letzten Scholion zu 14, 521 ἐπιπέρθεсθαι ist ein Scholion zu 13, 612 πελέκκῳ eingefügt.

d) Σ11, 155 ἐν άξύλῳ und Σ11, 156 εἰλυφόων stehen vor dem zu 11, 137 ἀμείλικτον.

e) Σ11, 165 сφεδανόν (-νων Taf.) findet sich nach Σ11, 172 φοβέοντο.

f) In P. 10511+10512v, 12-15 scheint die Reihenfolge gestört : Σ11, 26 (?) ὀρωρέχατο (-έχετο Taf.), glossiert mit ὄρουсαν ; 11, 252 [νύξε]· | ἔτρωсε oder 11, 261 [ἀπέκοψε]· | ἔτρωсε ; 11, 248 ἀριδείκετοс· λογιώτατοс ; 11, 257 ὄπατρον· πρὸс ὁμόπατρον ; 11, 251 сτῆ δ’ εὐράξ· ἔс̣τ̣[η δ’ ἐκ πλα]γίων ; 11, 263 (?) ἔδυν{ε}· ἔδυ{να}сα̣ν̣. In P. 10509v und 10510v sind derartige Irrtümer nicht nachweisbar.

Auch für diese Art von Vertauschungen sind Parallelen in der papyrologischen Überlieferung zu finden, wenngleich die Fehlerquote auf den Wachstafeln etwas höher als in der Mehrheit der anderen Zeugnisse zu sein scheint. Immerhin gibt es mit P. Turner 13 (P.Strasb. inv. gr. 39, 40, 41) und P. Köln inv. 2281 auch Papyri mit leicht erhöhter Rate an irrtümlichen Versetzungen von Lemmata und Scholien.

6) Charakteristika der Scholien

a) Die Scholien auf den Berliner Wachstafeln bestehen meist aus dem homerischen Wort und einer einzigen Glosse. Allerdings lassen sich auch einige Ausnahmen anführen. Einige Lemmata bestehen aus mehreren zusammengehörigen Wörtern : P. 10508r, 11-11a (Σ11, 416) γν]α̣μπτῇс<ι> γένυссιν· ἐν ταῖс κεκαμμένα[ιс] | сιαγόсι ; 14 (11, 424) κατὰ] π̣ρ̣ό̣τ̣μηс̣ιν· {/} μεταξὺ τοῦ ὀμφάλου ; P. 10508v, 1-2 (14, 232 und 235) ἔν̣ τ̣’ ἄρα οἱ φῦ <χ̣ε̣>ιρί· ἐνέ̣φυ δὴ̣ | τῇ χειρὶ αὐτοῦ / ἐγὼ δέ κέ τοι ἰδέˋω̣ˊ <χάριν>· ἐγὼ δ’ ἄν сοι εἰδείην χάριν ; 8-9 (14, 333 und 340) πῶс κ’ ἔο̣[ι]· πῶс ἂν εἴη / ἐπ<ε>ί νύ τοι· ἐπ<ε>ιδή сοι ; 17 (14, 484) τ̣ὼ κ̣αί· δ̣ι̣ὸ̣ κ̣α̣ί̣ ; P· 10510v, 3-4 (13, 612) ἀμφὶ πελέκ<κ>ῳ· περὶ сτειλειῷ ; 1112 (13, 703) ἐν νειῷ· ἐπὶ ἀρο[ύρᾳ] ; 15 (13, 728) [περιίδμεναι ἄλλων· π]εριс<с>ότερον εἰδέναι τῶν ἄλλων ; P. 10511+10512v, 2 (11, 155) ἐν ἀξύλῳ· ἐν πολυξύλῳ ; 4 (11, 153) χαλκῶι δη<ι>ό̣ωντεс· τῶι χ[α]|λκῶι διακόπτο[ντεс] ; 5-6 (11, 160) [κείν’ ὄ]χ̣ε̣α̣· [κενὰ] ἅρματα ; 14-15 (11, 251) сτῆ δ’ | εὐράξ· ἔс̣τ̣[η δ’ ἐκ πλα]γίων.

b) In einigen Fällen ist ein homerischer Terminus mit einer Umschreibung wiedergegeben. P. 10508v, 16-17 (Σ14, 463) λικριφ{ρ}ίс· ἐπὶ τ̣ὰ̣ πλέ|τια (l. πλάγια) ; 19 (14, 499) κώδει̣αν μήκωνοс κεφαλήν ; P. 10509, 5-6 (15, 27) ἀτ]ρύγετον· τὴν πολ<λ>ὴν θάλαссαν ; P. 10510v, 9-10 (13, 685) ἐλκεχί[τωνεс· βαθὺν τὸν] χιτῶνα ἔχονταс ; 20-21 (13, 793) ἀμοιβοί· ἐκ δια<δο>χῆс.

c) Selten sind die Fälle doppelter Glossierung16. P. 10508r, 1 (Σ10, 94) [ἀλαλύκτημαι· τε]θ̣ορύβημαι πλανῶ[μαι]. Auch die D-Scholien haben hier eine zweifache Erklärung, die nur teilweise mit unserer übereinstimmt : ἀλαλύκτημαι· τεθορύβημαι, ἠπόρημαι. Immerhin stimmt die auf der Wachstafel überlieferte Glosse mit dem Beginn der Glosse von ἀλαλύκτημαι im Lexikon des Apollonios Sophistes (p. 22, 32) überein17. P. 10508v, 21-22 (Σ14, 521) ἐπιπ̣έρθε̣с̣θ̣αι· ἐπακολουθῆсαι, ἐπιδιῶξαι. Zu dem Lemma, welches nicht dem überlieferten Homertext entspricht, der vielmehr ἐπιсπέсθαι hat, vgl. unten. Die Glosse scheint derjenigen bei Apollonios Sophistes (p. 74, 6) und beinahe derjenigen in Σex. 14, 521b, ἐπιсπέсθαι ἐπιδιῶξαι, ἐπακολουθῆсαι τῇ τῶν ποδῶν ὁρμῇ, zu entsprechen. Die D-Scholien erklären den Ausdruck mit ἐπακολουθῆсαι und in Teilen der Tradition auch mit τρῶсαι. Die Glosse ἐπακολουθῆсαι ist die einzige, die auch in den Lexeis Homerikai ε 701 De Marco (= van Thiel) und in Hesych ε 5210 erscheint.

d) In drei Fällen weicht das Lemma von dem überlieferten Homertext ab. In P.10508v, 4 (Σ14, 463) hat die Tafel ὑπιсχοίηс· ὑπίсχεс für ἐπιсχοίηс· ἐπίсχεс. Die Lesart, die hier durch die Glosse ὑπίсχεс sichergestellt ist, ist bisher weder in den Homerkodizes noch in der indirekten Überlieferung bezeugt. In P.10508v, 5 (Σ14, 245 [oder 248]) begegnet die einfache Form εὐνήсαιμι für das Kompositum κατευνήсαιμι des homerischen Textes. Es ist unklar, ob es sich um eine beabsichtigte Simplifizierung handelt ; sie findet sich auch im Homerlexikon des Apollonios Sophistes (p. 79, 8 εὐνήсαιμι· κοιμήсαιμν ʻοὐδὲ κατευνήοαιμ’, ὅτε μὴ αὐτόс γε Κρονίων’). Dagegen ist κατευνήсαιμι weder in den von Erbse herausgegebenen Scholien, noch in den Scholia Minora, noch in den Lexeis Homerikai Objekt von Erklärungen. In P. 10508v, 21 (Σ14, 521) hat die Tafel ἐπιπ̣έρθε̣с̣θ̣αι, der überlieferte Text lautet ἐπιсπέсθαι. Das Kompositum ἐπιπέρθεсθαι ist bisher nicht bezeugt (die einfache Form πέρθεсθαι immerhin in Eustath. 961, 34). An eine Variante mag man nicht denken, zumal die Bedeutung nicht paßt, aber auch ein schlichter Fehler schiene nicht leicht zu erklären.

Die homerischen Textpassagen auf den Wachstafeln sind relativ korrekt, doch es finden sich eine Reihe von Abweichungen, die sich folgendermaßen ordnen lassen :

a) Vokalismus : P. 10508v, 4 <ε>ἰλαπινάζω̣ν̣ ; 6 δμήτ<ε>ιρα, δαμάζευсα18 ; 8 ἄγρ{ι}ει ; 1314 π̣ε̣[ρ]ιεδ{ε}ινήθη{ι} ; 16-17 πλέτια Taf., l. πλάγια19 ; P. 10509v, 7 πημα<ί>νει κακο<ῖ> ; 16 ὑπεκ<κ>λ{ε}ῖναι ; 10510v, 5 α<ἰ>πήν ; 6-7 сχήсεсθαι für сχήсεсθε ; P. 10511-10512v, 4 δηϊ<ό>ω̣ντεс ; 10 π{ε}ίδακαс.

b) Konsonantismus20 : α) irrtümliche Konsonantendopplung : P. 10508v, 7-8 τελ{λ}έссαι· τέλ{λ}ειν ; ß) Konsonantenkürzung : P. 10509v, 5 πολ<λ>ήν ; 16 ὑπεκ<κ>λ{ε}ῖναι ; 10510v, 3 πελέκ<κ>ῳ ; 10510v, 15 περιс<с>ότερον ; γ) Vereinfachung von Konsonantenverbindungen : P. 10508v, 12 с̣τ̣ρ̣ό̣<μ>βον ; δ) Dissimilation von Nasalen : P. 10508v, 12 [ῥό]νβον ; P. 10509v, 13 сυ̣νλήμψεται. Interessant ist auch die Schreibung λικριφ{ρ}ίс in P. 10508v, 16, wo die Liquida irrtümlich in einer zusätzlichen Silbe eingefügt ist21.

c) Haplographie / Silbenauslassung : P. 10508v, 1 <χε>ιρί ; P. 10510v, 20 δια<δο>χῆс ; eine überzählige Silbe dagegen anscheinend in P. 10511-10512v, 15 ἔδυ{να}сαν.

d) Fehler bzw. Auslassungen der Endung : P. 10508r, 10 περιεξυсμένοι<с> ; 11 γν]α̣μπτῇс<ι>.

7) Die Berliner Wachstafeln und die mittelalterliche Scholienüberlieferung

Wenn sich die glossierten Partien der Berliner Wachstafeln, wie oben ausgeführt, auch nicht mit anderen papyrologischen Zeugnissen überlappen, so sind die Übereinstimmungen mit der mittelalterlichen Scholienüberlieferung dagegen zahlreich. Insbesondere mit den D-Scholien, die zuweilen zusätzliche Erklärungen enthalten, gibt es enge Entsprechungen22 :

– P. 10508v, 1 (Σ14, 227) ἐ̣сεύατο (сεύατο)· ὥρμηсε ; 3 (240) θρῆνυν· ὑπο̣π̣όδι̣ο̣ν̣ ; 4-5 (241) / <ε>ἰλαπινάζω̣ν̣ ε̣ὐ̣ω̣χ̣[ο]ύ|μενοс ; 5-6 (249) τεῇ· с{ε}ῇ (τεῇ· τῇ сῇ) ; 9 (335) π̣εφράδ̣οι· φράсει̣εν (+ δηλώсειε, εἴποι) ; 10-11 (360) παρ|ήπαφε· παρηπάτηсε (+ παρέπειсεν) ; 12 (413) c̣τ̣ρ̣ό<μ>βον· [ῥό]ν̣βον ; 12-13 (414) ἐ̣ξερίπῃ· ἐκπέсῃ ; 15-16 (457) сκηπτόμενον̣· ἐπε̣ρειδόμενον̣ (+ сκηριπτόμενον) ; 18-19 (497) ἀπήραξεν· ἀπέκο|ψ̣ε̣ν (+ ἀπετίναξεν) ; 19 (499) κώδε̣ιαν· μήκωνοс κεφαλήν.

– P. 10509v, 7 (Σ15, 42) πημ̣α<ί>νει· κακο<ῖ> [vgl. Synag.] (+ βλάπτει) ; 12 (132) ἀναπλήсαс· ἀναπληρώсα<с> ; 13 (137) μά̣ρψει· сυ̣νλήμψεται (+ ἐπὶ τιμωρίᾳ) ; 15 (153) θυόεν· τεθυμιαμένον (θυόεν νέφοс· τὸ εὐῶδεс καὶ τεθυμιαμένον) ; 16 (180) ὑ]πεξαλ̣έ̣α̣с̣θαι ὑπεκ<κ>λεῖναι (+ φυχεῖν) ; 16-17 (185) ὑπέρ|[οπλον· ὑπερ]ήφανον.

– P. 10510v, 4 (Σ13, 620) λείψετέ θην· καταλείψετε δή ; 7 (634) ἀτάcθαλον· ἄδικον ; 9 (669) θωή]ν· ζημίαν (+ τὴν) ; 9-10 (685) ἑλκεχί| [τωνεc βαθὺν τὸν] χιτῶνα ἔχονταс (ἑλκεχίτωνεс· βαθεῖс χιτῶναс ἔχοντεс, ἄζωсτοι) ; 15 (728) [περιίδμεναι ἄλλων· π]εριс<с>ότερον εἰδέναι τῶν ἄλλων (περιίδμεναι· περιссῶс εἰδέναι).

– P. 10511+10512v, 1 (Σ11, 136) προсαυδήτην· προсεφώ̣[νου]ν (+ προсεφθέγγοντο) ; 2 (156) εἰλυφόω̣ν̣ εἰλῶν (+ ταράссων) ; 6 (172) {ἐ}φοβ<έ>οντο· ἔφευ|γο{υ̣}ν (φοβέοντο· ἐφοβοῦντο, ἔφευγον) ; 13-14 (257) ὄπατρον] | πρὸс ὁμόπατρον (ohne πρόс).

– P. 10511+10512v, 13 (Σ11, 248) ἀριδείκετοс· μ̣ε̣χάλ̣ω̣[с - - scheint übereinzustimmen mit den Lexeis Homerikai α 738 van Thiel (= 733 De Marco) ἀριδείκετοс· μεγάλωс ἔνδοξοс, vgl. außerdem Hsch. α 7199 ἄγαν ἔνδοξον AS ἢ μεγάλωс (S) ἀсπαсτόν, φανερόν (S). Die D-Scholien erklären dagegen folgendermaßen : πάνυ ἔνδοξοс, εὐπρεπέсτατοс.

In anderen Fällen findet sich eine exakte Übereinstimmung bzw. die nächstliegende Erklärung im Lexikon des Apollonios Sophistes oder in anderen lexikographischen Quellen :

– P. 10508v, 5 (Σ14, 245 oder 248) εὐνήсαιμι· κοιμήсαιμι, vgl. oben.

– P. 10509v, 10-11 (Σ15, 128) ἠλεέ μ̣ά̣[τα]|ιε, vgl. Ap. Soph. p. 83, 19 (aber auch ΣVOd. 2, 243 ἠλεὲ] ἠλίθιε καὶ, ἀνόητε τὰс φρέναс, μάταιε und die weiteren im Apparat der Edition von F. Pontani zitierten Parallelen)23.

– P. 10510v, 8-9 (Σ13, 657) ἀνέсαντεс· ἀνακαθίсαντεс. Die Glosse für den Terminus lautet in ΣbT 13, 657a (III p. 525 Erbse) ... τὸ δὲ ἀνέсαντεс ἀντὶ τοῦ καθίсαντεс. τινὲс δὲ ἀναθέντεс· νεκρὸс γάρ ἐсτιν, während die D-Scholien an der Stelle ἀναθέντεс, ἀναβιβάсαντεс und die Lexeis Homerikai α 576 van Thiel (α 524 De Marco) ἀναπείсαντεс haben. Eine identische Glosse wie auf der Wachstafel findet sich in Hesych (α 4962), in der Synagoge (α 602), im Lexikon des Photios (α 1873), in der Suda (α 2317) und außerdem im Kommentar des Eustathios zu unserem Passus (952, 59-60 καὶ ὡс οἱ τοιοῦτοι ἑταῖροι αὐτὸν ἐс δίφρον ἀνέсαντεс, ἤγουν ἀνακαθίсαντεс καὶ ἀναθέντεс, ἀπῆγον εἰс Τροίαν ἀχνύμενοι).

In anderen Fällen dagegen gibt es keine Übereinstimmung mit den bekannten Scholien, sondern die Wachstafeln bieten eigene Erklärungen, wenngleich die gedeuteten Termini oftmals auch in den D-Scholien, den Lexeis Homerikai oder der lexikographischen Tradition behandelt sind :

– P. 10508v, 6 (Σ14, 259) δμήτ<ε>ιρα· δαμάζευсα. Δμήτειρα wird in den Scholia vetera und den D-Scholien mit δαμάсτρια wiedergegeben, ebenso in ΣGenev., Hsch. δ 2068, Etym. Magnum p. 281, 9 ; Lexicon Casinense δ 56 †δητεῖρα· δαμάсτρια ; Suda (δ 42) δαμάτειρα· ἡ δαμάсτρια (vgl. daneben auch ΣDIl. 14, 259a), aber auch mit ἄρχουсα (D, ΣGenev.) und δαμαсτική (Hsch. δ 2067). Für eine auf den Stamm von δαμάζω zurückgehende Paraphrase vgl. auch Eustath. 981, 12 und 991, 37.

– P. 10508v, 6-7 (Σ14, 261) ἀ̣πο̣θ̣[ύμ]ια· δυсάρεсτα. Die üblichsten Glossen sind ἀηδῆ καὶ οὐκ ἀρεсτά (ΣD, codd. YQX van Thiel), μὴ καταθύμια, λυπερά, ἀπαρέсκοντα / προсάντη τῇ ψυχῇ, ἐχθρά. Die Glosse der Wachstafel ist bisher nicht als solche zu ἀποθύμια bezeugt, erscheint allerdings als Erklärung für andere Termini (δυсπέμφελοс, δύсτροποс etc.).

– Für P. 10508v, 13-14 (Σ14, 413) πε̣ρ̣ὶ δ’ ἔδρ̣α̣με· π̣ε̣[ρ]ιεδ{ε}ινήθη gibt es keine Parallelen. In den D-Scholien ist περὶ δ’ ἔδραμε glossiert durch περιῆλθεν δέ, περίξ. Im übrigen scheint die Erklärung poetisch (vgl. z.B. ΣDIl. 17, 680 δινήθην. ἐδινοῦντο. ὅ ἐсτι περιεсτρέφοντο ; ΣDIl. 22, 165 περιδινηθήτην. ἐκύκλωсαν, περιῆλθον ; auch in den wenigen lexikographischen Belegen findet sich δινέω als zu erklärendes Lemma, nicht als Element der Erklärung.

– P. 10509v, 2 (Σ15, 17) ἐπαύρηαι· ἐπονάсθηс. Die D-Scholien haben an der Stelle ἐπαύρηαι· ἐπιψαύсῃ, ἀπολαύсῃс, die Lexeis Homerikai ε 677 van Thiel (= De Marco) ἐπαύρῃ· ἐπιτύχῃ (bezogen auf 11, 391).

– P. 10510v, 6-7 (Σ13, 630) сχήсεсθαι (l. сχήсεсθε)· κωλ[υθήсεсθε. Der Terminus wird in den D-Scholien mit ἀφέξεсθε (v.l. φεύξεсθε) erklärt, in den Scholien von Meliteniotas des Genavensis gr. 44 mit ἐφέξεсθε und bei Apollonios Sophistes mit ἐπιсχήсεсθε. Die Erklärung der Wachstafel ist nichtsdestotrotz gebräuchlich in Bezug auf andere Stellen, insbesondere in der in die D-Scholien eingegangenen Tradition, vgl. ΣD Il. 11, 819 сχήсωсιν· ἐπιсχώсι, κωλύсωсιν ; 12, 4 сχήсειν· ἀνθέξειν, κωλύсειν ; 12, 107 сχήсεсθαι· сχεθῆναι, κωλυθῆναι ; 13, 151 сχήсουсι· ἐφέξουсι, κωλύсουсι ; 17, 182 сχήсω· κωλύсω, außerdem Eustathios, der 1920, 15 in Bezug auf Od. 22, 70 οὐ γὰρ сχήсει ἀνὴρ ὅδε χεῖραс schreibt ; τὸ δὲ сχήсει ἐνταῦθα ἀντὶ τοῦ ἐφέξει, κωλύсει, vgl. auch Hsch. с 3001 сχήсειν· ἀνθέξειν, κωλύcειν, παύсειν (auch α 8601 ἀφέξει· ἀποсτήсει, ἢ ἀποκωλύсει ἢ ἀποсχήсει).

– P. 10510v, 18 (Σ13, 754) νιφόεντι : ὑψηλῷ. Das Wort wird weder in den D-Scholien noch in den Lexeis Homerikai erklärt. Die Scholien bei Erbse erläutern nur, daß das Wort « schneereich » verwendet werde, weil es sich um Berge handele, die Schnee trügen. In ΣHes. Theog. 953 wird das Wort mit χιονώδει, λαμπρῷ erklärt (χιονώδει auch in ΣΝic. Ther. 440a, während es an einer Stelle in ΣNic. Al. 252b mit λευκῷ, οἷα τῷ ὀπῷ τῆс сύκηс erklärt wird ; vgl. Phot. Lex. p. 301, 6 νιφόεссα сελήνη· λευκή ; Hsch. ν 599 νιφόεссα Ἑλένη : ἀντὶ τοῦ λευκή).

– P. 10511+10512v, 3 (Σ11, 137) ἀμείλικτον wird nur auf unserer Wachstafel mit ἄκοсμον erklärt ; vgl. ΣDIl. 11, 137 ἀηδή, сκληράν ; ΣDIl. 21, 98 ἀπηνῆ, сκληράν ; Lexeis Homerikai α 442 van Thiel (= 431 De Marco) πικρόν, οὐ προсηνῆ ; Ap. Soph. 25, 11 πικράν ; Hsch. α 3546 und 3548 ; Synag. α 373-374 usw.).

Die Aufstellungen zeigen, daß die Scholien auf den Wachstafeln teilweise identisch mit bereits überlieferten Scholien sind, teilweise auf homerische Lemmata bezogen sind, die das Interesse der antiken Erklärer auf sich gezogen haben, aber andere Deutungen bieten und teilweise auch Termini erklären, die anderweitig nicht Gegenstand der Exegese waren. Dieser Befund ähnelt dem Bild, welches sich anhand der papyrologischen Tradition der Scholia Minora zeigt.

Literaturverzeichnis

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Zalateo, G. (1961), « Papiri scolastici », Aegyptus 41, 160-235.

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1 P. 10508 ; 10509 ; 10510 und 10511+10512. Die Maße der Tafeln sind 15,5 x 11,8 cm. Der Holzrand hat eine Breite von ungefähr 0,9 cm. Die Schriftfelder sind 13,7 x 10 cm groß.

2 Vgl. bisher die Berliner Holztafel P. 11636 (3.-4. Jh. n.Chr.), publiziert von Plaumann (1913), neuediert von Raffaelli (1990) : Il. 5, 265-286, sowie die jüngst von Guido Bastianini und John Lundon publizierte Wachstafel P. Bingen 8 (1. Hälfte 2. Jh. n.Chr.) : Il. 1, 405-436, außerdem die von Hombert / Préaux (1951) publizierte Holztafel Oxford Ashm. Mus. Bodl. Gr. Inscr. 3017 (2.-3. Jh. n.Chr.) mit Paraphrasen zu Il. 4, 349-363 und Glossar zu Il. 4, 364-371. Listen aller bisher bekannten Wachstafeln bieten Brashear / Hoogendijk (1990) sowie Cauderlier (1992) ; vgl. für unsere Tafeln Nr. 259-262. Vgl. jetzt auch Worp (2012) 12-13, Nr. 32-35.

3 BKT V.1, S. 6.

4 Zalateo (1961) : Nr. 283-286 ; Raffaelli (1984) : Nr. 53, 54, 52 und 48 ; Cribiore (1996) : Nr. 326-329.

5 Außer den genannten Institutionen danken wir der Holzrestauratorin des ÄMP Margarethe Pohl für eine Sicherungsrestaurierung der fragilen Originale, der Photographin des ÄMP Sandra Steiß für hochwertige Streiflichtaufnahmen der Stücke.

6 Vgl. Bastianini / Lundon, Einleitung zu P.Bingen 8 mit Anm. 9.

7 Vgl. die Definition von Konsonanten und Vokalen und deren Unterteilungen in P.Osl. 13, iv, 17 – v, 31.

8 Einkerbungen des Randes (vgl. Cauderlier [1992] 68), die die Abfolge der Tafeln des Kodex verdeutlichen würden, wie es bei dem Berliner Kodex P. 14000 (= SB III 6215-6218) der Fall ist, sind nicht zu erkennen.

9 Vgl. Raffaelli (1984) 155-157.

10 Vgl. Raffaelli (1984) 158.

11 Vgl. für diesen Punkt bereits Calderini (1921) 314.

12 Eine ähnliche Situation, wenn auch mit höherer Scholienfrequenz, begegnet etwa in P.Ryl. III 537 (4. Jh. n.Chr.), der auf dem Rekto 9 Scholien für Il. 5, 5-11 enthält (13 Scholien / 10 Verse), und auf dem Verso 8 Scholien für die Verse 37-53 (4,7 Scholien / 10 Verse).

13 Scholien zu den Versen 599, 612, 620, 622, 625, 630, 634, 649, 657, 669, 685, 686, 703, 715, 725, 736, 747, 754, 782, 793, 797 und 799.

14 Vgl. Apthorp (1998).

15 Für 10-25 : ein Scholion zu Vers 12, zwei zu Vers 15, jeweils eines zu den Versen 22 und 24.

16 In P. Bingen 8 (T.Mil.Vogl. inv. 8), der anderen Gruppe von Wachstafeln mit Scholia Minora zu Il. 1, 405-436, gibt es nur einen Fall doppelter Glossierung eines homerischen Terminus. Seite C 11-13 : αὐτοῦ· αὐτόθι, ἐν αὐτῷ τῷ τόπῳ. Die Herausgeber erwägen, daß « si affaccia perciò la possibilità che l’estensore abbia compilato le interpretazioni attingendo a più fonti oppure che abbia operato una selezione da un testo più ricco ».

17 Vgl. z.B. Suda α 1061 (= L. Zon. p. 134, 8) : ἀλαλύκτημαι· τεθορύβημαι, πεπλάνημαι.

18 Für -ευ- anstelle von -ου- (δαμάζουсα) vgl. Gignac (1976) 216.

19 Für ε anstelle von α in akzentuierter Silbe vgl. Gignac (1976) 281.

20 Gignac (1976) 154ff. mit weiterer Literatur auf 154 Anm. 4 ; für die Verdoppelung von λ vgl. insbes. 155-156 ; für die Kürzung 155, mit Beispielen für Formen von πολύс, wenn auch später ; für die Kürzung von κκ vgl. 160, für die von cc 158-159.

21 Für die Einfügung des ρ vgl. Gignac (1976) 108 : in allen Beispielen bis auf eines (ποсάρκειс für ποсάκιс) findet sich der Fehler vor (сπρόρου, καθάρπερ, φλυραρήсω) oder nach (φρέατροс, γραφρούсηс) einer Silbe mit regulärem ρ.

22 Das zusätzliche Material in den D-Scholien ist mit « +... » gekennzeichnet. Varianten in D sind in Klammern verzeichnet.

23 Pontani (2007) 316.