Die Berliner Sammlung im Deutschen Papyruskartell
In der Geschichte des Deutschen Papyruskartells nimmt die Berliner Sammlung eine Schlüsselstellung ein: Berlin gab den Anstoß zur Gründung des Kartells, war über lange Zeit sein wichtigstes Mitglied und für einige Jahre sein größter Antagonist. Im Folgenden soll die Rolle Berlins bei der Entstehung und Weiterbildung des Kartells nachgezeichnet werden1. Das hier vorgelegte Archivmaterial erlaubt in einigen Punkten Ergänzungen und Präzisierungen der bisher bekannten Ereignisse.
Den Anlaß zur Bildung des Kartells gab ein Interessenkonflikt zwischen der Berliner «Commission zur Erwerbung griechisch-litterarischer Papyri aus Egypten» und weiteren deutschen Sammlungen und Privatpersonen, die am Ankauf griechischer Papyri aus Ägypten interessiert waren. Die Berliner Kommission wurde 1901 ins Leben gerufen. Ihr gehörten zunächst Herrmann Diels und Ulrich von Wilamowitz-Möllendorff sowie der Generaldirektor der Königlichen Museen Richard Schöne und der Direktor der dortigen Ägyptischen Abteilung Adolf Erman an. 1906 schied Diels aus der Kommission aus; seine Stelle nahm Eduard Norden ein2.
Die Vermittelung der Ankäufe vor Ort übernahm der Ägyptologe Regierungsbaumeister Dr. Ludwig Borchardt, ein Schüler Ermans. Er war seit 1895 in Ägypten tätig, genoß als wissenschaftlicher Attaché beim deutschen Generalkonsulat in Kairo Diplomatenstatus, hatte beste Verbindungen und genaue Kenntnis der örtlichen Händler, bei denen er regelmäßig ägyptische Kunstgegenstände für deutsche Sammlungen kaufte. Freilich war er Laie auf dem Gebiet der Papyrologie. Deshalb wurde für die Ankäufe und die Ausgrabungen ein ständiger Vertreter des Preußischen Papyrusunternehmens nach Ägypten entsandt. Zuerst war Otto Rubensohn in dieser Position von Oktober 1901 bis März 1907 tätig. Ihm folgte vom 1. April 1907 bis März 1910 Friedrich Zucker. Danach entschloß man sich in Berlin aufgrund von Haushaltszwängen, die Stelle einzuziehen. Die Arbeit des Papyrusunternehmens ist in den in Berlin aufbewahrten Akten und Tagebüchern dokumentiert, die Oliver Primavesi besprochen hat3. Die folgende Darstellung setzt die von ihm veröffentlichten Unterlagen voraus und ergänzt die Dokumentation durch die Publikation weiterer Archivunterlagen aus dem Zentralarchiv der Berliner Museen, dem Archiv des Deutschen Archäologischen Instituts in Kairo und dem Jüdischen Museum in Berlin, in dem der Nachlaß Rubensohns aufbewahrt wird4. Der Nachlaß enthält unter anderem Rubensohns Anstellungsvertrag und zahlreiche Briefe, die er während der Zeit in Ägypten an seine Eltern schrieb. Sie zeichnen in den privaten Äußerungen ein lebhaftes Bild von Begeisterung und Enttäuschung, die den jungen Gelehrten in diesen Jahren bewegten. Das eigenhändig unterschriebene Begleitschreiben Schönes zur Anstellung legt die Modalitäten und Bezahlung seiner Tätigkeit im Einzelnen fest5.
l. No. 2937 Berlin C2, den 13. August 1901.
Sehr geehrter Herr Doktor!
Unter Bezugnahme auf die mit Herrn Assessor v. Wedderkop am 20. Juli c (u) r (rentis) gehabte Besprechung, derzufolge Sie sich bereit erklärt haben, sich auf 5 Jahre dem geplanten Papyrusunternehmen in Aegypten zur Verfügung zu stellen, beehre ich mich, Ihnen in der Anlage eine Instruktion mit dem Auftrage ergebenst zu übersenden, nach Maassgabe derselben die Ihnen zufallende Aufgabe zu übernehmen und auszuführen. Eine Ergänzung und Abänderung dieser Instruktion bleibt vorbehalten.
Es wird Ihnen eine Remuneration von jährlich 7000 M(ark) zugesichert, welche Ihnen in vierteljährlichen Raten praenumerando durch Vermittelung der Deutschen Bank auszuzahlen ist.
Ein 6 monatliches Kündigungsrecht bleibt beiden Theilen vorbehalten. Ferner wird Ihnen jährlich ein einmaliger Sommerurlaub nach Deutschland bewilligt werden und werden Ihnen die Reisekosten für die Hin- und Rückreise ersetzt werden. Dabei ist vorausgesetzt, dass Sie lediglich die bezüglichen baaren Auslagen für die Reise in Rechnung stellen und keinesfalls Ansprüche auf Erstattung von mehr als 500 M (ark) für jeden Reiseweg von Cairo nach Deutschland bezw. umgekehrt machen.
Zu Ihrer persönlichen Ausrüstung wird Ihnen eine Beihülfe in Höhe von 400 M (ark) gewährt werden.
Der Generaldirektor
Schöne
Im Oktober 1901 kommt Rubensohn in Ägypten an und beginnt zunächst mit Ankäufen. Den ersten Papyrus erwarb er am 21. Oktober 1901. Am 4. Dezember machte auch Borchardt einen größeren Ankauf, über den sich Rubensohn mehrfach in Briefen an seine Eltern äußert6:
Die von B (orchardt) gekauften Papyri sind nicht weltumstürzend, das eine ist zwar ein ganzes Buch, aber nur ein Commentar zu einer Platonischen Schrift, das ist recht schade7. Aber für den Anfang genügen diese Erwerbungen doch.
Der zweite Ausschnitt zeigt die Aufbruchsstimmung am Beginn des Unternehmens8:
Nun sind auch unsere großen Papyri endlich aus dem Haus, es ist eine große Rolle, ein ganzes Buch leider nur ein antiker Commentar zu Platos Theaitetos, wie ich zu meinem eigenen Bedauern constatieren mußte, das hat den Leuten in Berlin aber imponiert, obwohl ich die Entdeckung einem Zufall verdanke, das habe ich natürlich nicht gesagt. Die 2te kleinere Rolle ist auf der einen Seite ein Philosoph, auf der inneren Seite ein Historiker beide bisher unbekannt, beide nur sehr fragmentiert erhalten9. In einem halben Jahr stehen trotzdem sämtliche Philologen in Europa Kopf. Wilamowitz & Diels thun es schon lange. Auf diesen Lorbeeren können wir vorerst ruhen, aber das thun wir nicht, wir gehen vielmehr schleunigst in die Grabung, wohin man mir aus Berlin als unbezahlte Hülfskraft einen Kunstmaler Rexhausen schickt, der weder arabisch noch ausgraben noch Papyrus kann, ich kann blos mit ihm frühstücken.
Von Anfang an scheint aber das Berliner Unternehmen nicht unumstritten. Trotz der guten Ergebnisse wird noch im ersten Jahr ein Drittel der Mittel gekürzt10:
Unser Unternehmen schreitet seinen Weg, aber auch für dieses macht sich die ungünstige Finanzlage des Staates geltend. 10.000 Mark sind mir gestrichen worden. Das macht uns hier ziemlich lahm, denn mit 12.000 Mark kann man nur wenig machen. Von meinem Gehalt lasse ich mir natürlich nichts abstreichen, wird auch nicht versucht, aber die Ausgrabung wird dadurch fraglich, so ist z. B. Schubarts Entsendung hierher unmöglich geworden, ich muß allein graben, was sehr beschwerlich, vielleicht unmöglich ist.
Die Berliner sind übrigens mit unseren Erfolgen ganz zufrieden und bis jetzt ist noch keine Differenz entstanden, was bei einem so schwer zu behandelnden Menschen wie Schöne immer schon ein Erfolg ist. Mit Wilamowitz werde ich leichter fertig, der ist immer von allem gleich entzückt, es mangelt ihm die Blickseinschränkung & -verdunklung, die das beständige Anschauen eines grünen Tisches mit sich zu bringen scheint. Die großen Papyrusrollen sind nun auf dem Weg nach Berlin. Ich bin gespannt, was dabei herauskommt.
Dazu kommt, daß die Grabung in Abusir el-Melek im Frühjahr 1902 enttäuschend verläuft und gleichzeitig weitere Interessenten für Papyrusankäufe auf den Plan treten. Am 19. April schreibt Rubensohn an seine Eltern11:
In Kairo warten übrigens die Händler schon auf mich. Ich komme mir vor wie der Sonntagsjäger, der das Wildpret kauft, nachdem er nichts getroffen hat. Für 1500 Mark habe ich schon wieder erworben, diesmal nicht nur für Berlin sondern auch für Leipzig, von wo aus ich auch den Auftrag habe, Papyrus etc. zu kaufen.
In Leipzig hatte die Königlich Sächsische Gesellschaft der Wissenschaften eine Papyruskommission eingesetzt, der Georg Steindorff, Ludwig Mitteis und Ernst Wilhelm Windisch angehörten. Schon seit 1898 hatte Borchardt im Auftrage der Kaiserlichen Universitätsund Landesbibliothek Straßburg Papyrusankäufe vermittelt. Nun traten neben der Straßburger Bibliothek immer mehr Interessenten hervor, mit denen er, wie mit Georg Steindorff, persönlich eng verbunden war.
Im Juni 1902 schlossen die Berliner und die Leipziger Kommissionen ein Abkommen, die Ankäufe in Ägypten künftig als gemeinschaftlich zu betrachten und untereinander zu verteilen. Dieses Abkommen sollte für andere Interessenten offen stehen. Der einzige Beleg für diese bislang nicht bekannte Vorstufe des Kartells ist ein Schreiben Schönes an Heinrich Konrad Studt, den preußischen Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten vom 11. Juli 190212.
No. 2480, 2528/02
Euerer Excellenz beehre ich mich im Verfolg des untenbezeichneten Berichtes gehorsamst zu melden, daß die Leipziger Kommission für Papyruserwerbungen einer Vereinbarung mit der Berliner Kommission beigetreten ist, derzufolge alle vom 15. Juni c (u) r (rentis) ab von Dr. Borchardt und Dr. Rubensohn in Egypten angekauften griechisch-litterarischen Papyri als gemeinschaftliche von Berlin und Leipzig zu gelten haben bis zu dem Augenblick, wo auch andere den Ankauf griechisch-litterarische<r>13 Papyri beabsichtigende deutsche Staatsinstitute dem Abkommen beitreten würden. Die Leipziger Kommission wünscht vorläufig die Summe von 1200 M (ark) zum Ankauf der genannten Papyri verwendet zu sehen. Die gemeinschaftlich erworbenen Papyri sollen der Vereinbarung gemäß später unter die Theilnehmer an de[r] letzteren nach Maßgabe der von ihnen zur Verfügung gestellten Mittel vertheilt bezw. verloost werden.
Euere Excellenz bitte ich ganz gehorsamst, dem Königlichen Auswärtigen Amt hiervon Mittheilung machen und dasselbe ersuchen zu wollen, dem Dr. Borchardt in Egypten entsprechende Instruktionen zu erteilen.
Der General-Direktor
gez. Schöne
In Berlin wird eine Aufstellung der ersten fünfzig Ankäufe des Preußischen Papyrusunternehmens aufbewahrt14. Dort sind die Auswirkungen des Abkommens eingetragen. Zu Ankauf Nr. 15 und Nr. 16 ist jeweils in Klammer vermerkt: «Teil (un) g mit L (eipzig)». Nach der Beschreibung «2 Fragmente eines Pergamentkodex. Odyssee 7» wird aber wohl bereits der am 26.1.02 erworbene Ankauf Nr. 11 an Leipzig gegangen sein [P. Lips. Inv. 153].
Trotz der Etatkürzung hatte Berlin bei weitem die größten finanziellen Mittel. Um eine Konkurrenz der deutschen Interessen zu vermeiden und um zu verhindern, daß Borchardt seine Kontakte zu den Händlern zunächst für andere Sammlungen einsetzte, versuchte die preußische Papyruskommission, das mit Leipzig geschlossene Abkommen auf die übrigen Interessenten auszudehnen. Die Verhandlungen und Beeinflussungen liefen auch auf der innerdeutschen diplomatischen Ebene, indem preußische Gesandte versuchten, die Regierungen der einzelnen Länder zu beeinflussen. Vor allem Straßburg weigerte sich beharrlich, einer Vereinbarung beizutreten, während Berlin auf allen Ebenen Druck auszuüben versuchte15. Es bedurfte allerhöchsten Eingreifens. Rubensohn schreibt dazu am 24. Mai 1902 an seine Eltern16:
Mit einer anderen Affaire, die mit dem Papyrusunternehmen in engem Zusammenhang steht und bei der die Berliner sich eine Vergewaltigung Straßburgs zu Schulden haben kommen lassen, ist übrigens wie ich aus den Zeitungen erfahre, Schöne ad audiendum verbum nach Straßburg zum Kaiser befohlen worden. Das übt vielleicht eine heilsame Wirkung auf die Bonzen aus. Es ist schon stark, was in Preußen alles möglich ist, aber ich erzähle Euch das lieber alles mündlich.
Der Durchbruch gelang schließlich am 8. September 1902 in Hamburg am Rande der Tagung der Deutschen Orientgesellschaft. Die dort von Ludwig Borchardt und Ulrich Wilcken entworfenen Satzungen des Deutschen Papyruskartells wurden schließlich bis zum Januar 1903 von allen Beteiligten vollzogen, das Inkrafttreten jedoch für die Berlin betreffende Abteilung auf den 1. Oktober 1902 rückdatiert17. Da Berlin nur literarische Papyri zu erwerben wünschte, während andere Mitglieder größeren Wert auf Urkunden legten, wurde das Kartell zweigeteilt in eine Abteilung A für Urkunden und B für literarische Papyri. Berlin trat nur der Abteilung B bei, für die es auch die ständige Geschäftsführung übernahm. Die übrigen Gründungsmitglieder gehörten beiden Abteilungen an: 1. Ernst Komemann (Gießen), 2. Die Leipziger Commission zur Erwerbung griechischer Papyri aus Egypten, 3. Ulrich Wilcken (Würzburg) und 4. Die Kaiserliche Bibliothek Straßburg im Elsaß.
Das Kartell bezog sich nur auf den Ankauf von Papyri. Grabungen, für die nur Berlin die Mittel hatte, standen jedem frei. Insofern ist die Abteilung B der gemeinsame Nenner, in dem sich die Interessen der übrigen Kartellmitglieder und Berlins treffen. Dafür brachte Berlin einige Leistungen ein, die allen Mitgliedern zugute kamen. So war der von Berlin bezahlte ständige Vertreter für beide Abteilungen tätig. Er führte in der Regel als Sachverständiger vor Ort, unterstützt von L. Borchardt, die Ankäufe durch. Von ihm stammen auch Kurzbeschreibungen der Ankäufe, die auf Laufzetteln notiert und zusammen mit den Ankäufen selbst nach Deutschland verschickt wurden. In Abteilung A waren diese Informationen der Laufzettel meist die einzige Grundlage der Information über Inhalt und Preis der Ankäufe, die den Kartellmitgliedern zur Verfügung stand, um ihre Kaufwünsche zu äußern18. Für Abteilung B erstellte Schubart in Berlin etwas ausführlichere Beschreibungen mit Teiltranskripten19.
Die Verteilung der Ankäufe erfolgte nach folgender Regel20:
Die Verteilung der Ankäufe hat durch den Geschäftsführenden am Anfange jedes Vierteljahres zu erfolgen21. Jedes Mitglied hat dem Geschäftsführer Wünsche für die bevorstehende Verteilung eventl. auch seinen Verzicht auf die Beteiligung daran zu übermitteln (…). Wird (…) ein und derselbe Ankauf von mehreren Mitgliedern gewünscht, so führt der Geschäftsführer durch Verlosung die Entscheidung herbei. Auf Ankäufe, welche die (…) in Kairo stehenden Fonds eines Mitgliedes überschreiten, hat dieses keinen Anspruch, falls es nicht innerhalb 8 Tagen nach erfolgter Benachrichtigung über den betreffenden Ankauf (…) erklärt, die Fonds entsprechend zu erhöhen.
Über den Ausgang der Verlosung erhielten die Mitglieder vom Geschäftsführer ein Protokoll.
Die ersten Ankäufe der Abteilung B kamen am 21. August 1903 zur Verteilung22. In der zugehörigen Aufstellung der Ankäufe, die den Kartellmitgliedern vorher zugegangen war, ist sowohl eine neue, mit 1 beginnende laufende Numerierung eingeführt, als auch die Zählung des preußischen Papyrusunternehmens weitergeführt. Nach dieser trug der erste über das Kartell verteilte Ankauf die Nummer 17. Diese Zählung setzte sich im weiteren Verlauf in der Abteilung B durch. Da die ersten Nummern noch aus der Zeit vor dem Kartell stammen, gibt es für sie keine Verlosungsprotokolle. Vielmehr ist davon auszugehen, daß die ersten zehn Nummern der Abteilung B alle an Berlin fielen, und die Nummern 11-16 dann nach der erwähnten Vereinbarung mit Leipzig zwischen diesen beiden Sammlungen geteilt wurden. In der Zeit des Bestehens der Abteilung B des Deutschen Papyruskartells erwarb Berlin mit 16 der insgesamt 52 getätigten Ankäufe ein knappes Drittel. Gleichzeitig lagen seine Beiträge weit über denen der übrigen Kartellmitglieder: der ständige Vertreter wurde ausschließlich von Berlin bezahlt. Seine Tätigkeit im Rahmen von Ankäufen für die Abteilung A, in der Berlin nicht Mitglied war, blieb unentgeltlich. Selbst an den Unkosten für die Reisen nach Oberägypten, auf denen der Großteil der Ankäufe erfolgte, wollten sich die Mitglieder der Abteilung A nicht beteiligen23. Die eigennützige Haltung einiger Kartellmitglieder wandte die Regeln für die Verteilung der Ankäufe in immer größerem Maße zum Nachteil Berlins an. Denn solange es den Kaufpreis bestreiten konnte, hatte jedes Mitglied bei der Verlosung die gleiche Chance, ungeachtet seiner für das Kartell aufgewendeten Mittel. Das hatte für Berlin bei der ständig wachsenden Anzahl der Kartellmitglieder immer weiter sinkende Chancen bei den Verteilungen zur Folge.
Für künftige Ankäufe war es darüber hinaus von entscheidender Bedeutung, daß jederzeit ein ausreichender Betrag auf dem Kartellkonto in Kairo zur Verfügung stand, von dem die Händler bezahlt werden konnten. Die Zinsen aus diesem Guthaben dienten auch dazu, die Nebenkosten wie Versand und Zoll zu bezahlen. Im Laufe der Zeit gingen nun einige Mitglieder dazu über, ihren Beitrag nur unmittelbar vor der Verlosung so zu erhöhen, daß sie auf möglichst viele Ankäufe bieten konnten, und dann gleich nach erfolgter Verteilung die nicht verwendeten Mittel wieder abzuziehen. Bisweilen wurden auch im Sinne der Satzung als sicher beabsichtigte Anzeigen einer Erhöhung des Beitrages satzungswidrig nicht eingehalten.
Angesichts geringerer Grabungsergebnisse und Haushaltskürzungen entschloß man sich in Berlin Ende März 1910, die Grabungen aufzugeben und die Stelle des ständigen Vertreters in Ägypten einzuziehen. Gleichzeitig wurden die beiden Kartellabteilungen unter Berliner Geschäftsführung zusammengelegt. Entsprechend galt ab dieser Zeit eine neue Numerierung der Ankäufe. Durch den Verzicht auf Grabungen standen auf Berliner Seite noch mehr Mittel für Ankäufe zur Verfügung, während wegen der erweiterten Mitgliederzahl die Berliner Chancen bei der Verlosung der Ankäufe noch weiter sanken. Besonders seit dieser Zeit häufen sich die Klagen über Kartellmitglieder, die auf Berlins Kosten lebten und die Geschäftsführung erschwerten. Borchardt schlägt deshalb in einem Schreiben an Schubart vor, die Anzahl der Lose jeweils nach den vollen Hundertern im Guthaben der Mitglieder auf der Kairener Bank zu bemessen24:
Lieber Herr Dr.!
«Ich habe nachgedacht und bin ein bedeutendes weiter gekommen» sagt Schreiber. Als ich mich heute an die Abrechnung des DPK machen wollte, fiel mir das Missverhältniss der Berliner gegen die anderen Einzahlungen wieder auf, dem keine entsprechenden Chanc[en] gegenüberstehen. Ich brütete daher das anliegende Ei des Kolumbus aus, das zwar stark nach einem plutokratischen Pluralwahlrecht riecht, aber mir dennoch den Nagel auf den Kopf zu treffen scheint.
Würde der Zusatz Gesetz, so würden bei der nächsten Verlosung haben: Berlin 9 Chancen, Hamburg 2, Leipzig 2 und alle anderen je eine. Das wäre meiner Ansicht nach auch nur gerecht.
Wenn Sie der Sache näher treten wollen, so trete ich Ihnen hiermit feierlich jedes Anrecht auf die Erstgeburt dieses Gedankens ab, d.h. sagen Sie den Mitgliedern nicht, dass er von mir ausgeht. Wenn Sie sich mit Hamburg und Leipzig darüber einigen können, so werden Sie es schon durchdrücken. Wollen die nicht, so teilen Sie den Berliner Fond in 8 kleine und Sie haben dasselbe Resultat. In Strassburg mit seinen zwei Mitgliedern haben Sie dazu schon den Praezedenzfall.
Mit bestem Gruß
Ihr
Borchardt
Anlage
Entwurf zu einem Einschub in die Satzungen des Deutschen Papyruskartells § 8 hinter Absatz 2.
Bei dieser Verlosung der einzelnen Ankäufe hat jedes Mitglied, das sich daran beteiligt, Anrecht auf ein auf seinen Namen lautendes Los. Hatte das Mitglied aber während der ganzen Zeit zwischen dieser und der vorangegangenen Verteilung mindestens einhundert ägyptische Pfund (100 00 PT) im gemeinsamen Fond in Kairo stehen gehabt, so hat es ein Anrecht auf zwei Lose auf seinen Namen. Hatte es mindestens zweihundert ägyptische Pfund (200 00 PT) dort, so steigert sich seine Loszahl auf drei, uns so fort.
Schubart lehnt ab, weil er es für aussichtslos hält, die übrigen Mitglieder dafür zu gewinnen. Nachdem aber in der Verlosung von 1911 keiner der von Schubart auf seiner Reise nach Ägypten erworbenen Ankäufe an Berlin und gleichzeitig auch noch die ihm sehr am Herzen liegenden alexandriner Dikaiomata an Halle fielen und schließlich die nicht eingehaltene Leipziger Zahlungsankündigung an den Tag kam, war das Maß voll25. In einem Schreiben an alle Kartellmitglieder erklärt Erman am 26. Februar 1912 kurzfristig den Austritt der Berliner Papyruskommission aus dem Kartell und die Niederlegung der Geschäftsführung zum 1. März26:
Euer Hochwohlgeboren zeigt die Berliner Papyruskommission hierdurch ergebenst an, daß sie mit dem 1. März d. Js. aus dem Deutschen Papyruskartell ausscheidet. Sie hat sich nur ungern endlich zu diesem Schritte entschlossen, auf den die Erfahrungen sie schon lange drängten. Die Staatsmittel, die sie zu verwenden hat, haben infolge der Beteiligung am Papyruskartell den Staatssammlungen einen allzu geringen Ertrag gebracht, wie sich gerade in den letzten Jahren mit dem starken Anwachsen des Kartells immer klarer herausgestellt hat; daher vermag die unterzeichnete Kommission die Verantwortung für eine solche Verwendung jener Mittel nicht länger zu tragen. Überdies hat Berlin, indem es den weitaus größten Betrag im gemeinsamen Kartellfonds zu Kairo ständig unterhielt, weit über das Verhältnis seines Gewinnes hinaus die Lasten des Kartells getragen.
Die seit der letzten Verlosung erworbenen Papyrusankäufe sind laut einer Mitteilung aus Kairo bereits auf dem Wege hierher und können daher sogleich nach ihrer Ankunft in den durch die Kartellsatzungen vorgeschriebenen Formen verlost werden. Zur vorläufigen Orientierung über diese Ankäufe wird eine Liste beigefügt, deren Inhalt lediglich auf den Angaben der Herren Borchardt und Abel beruht.
Euer Hochwohlgeboren wollen gütigst mitteilen, ob Sie mit dieser Behandlung der Ankäufe einverstanden sind. [S. 2]
Im Hinblick auf die gemeinsame Arbeit, die Euer Hochwohlgeboren jahrelang mit der unterzeichneten Kommission verbunden hat, bedauert sie aufrichtig, durch die dargelegten Gründe zum Ausscheiden aus dem Kartell gezwungen zu sein.
Im Namen der Berliner Papyruskommission
gez. Erman
Mit gleicher Post legt Schubart die Geschäftsführung nieder27:
Euer Hochwohlgeboren zeige ich ergebenst an, daß ich infolge des Beschlusses der Berliner Papyruskommission, aus dem Deutschen Papyruskartell auszutreten, die mir persönlich übertragene Sichtung und Inhaltsbestimmung der Kartellankäufe niederlege. Meine Tätigkeit erlischt demnach mit der Verlosung der vor dem 1. März d. Js. gemachten Ankäufe. Diese Verlosung werde ich, wenn kein Einspruch erfolgt, in den satzungsmäßigen Formen herbeiführen, insbesondere den Mitgliedern noch genauere Angaben über den Inhalt der Ankäufe übersenden und den Termin der Verlosung unter Beobachtung der satzungsgemäßen Frist von 14 Tagen (§ 8) ansetzen. Außerdem bitte ich um Ermächtigung, die unzweifelhaft einen Fund bildenden Ankäufe 26.27.28 und 46 der Liste unter einer Nummer verlosen zu dürfen, damit dieser Fund in eine Hand gelangt.
Für das mir bisher erwiesene Vertrauen spreche ich hierdurch meinen verbindlichen Dank aus.
gez. Schubart
In der abschließenden noch von Schubart durchgeführten Verteilung am 3. April 1912 erhielt Berlin noch den Ankauf Nummer 3228. Insgesamt hatte Berlin aus den bis dahin 46 über das Gesamtkartell verteilten Ankäufen noch sechs weitere erwerben können. Sein Anteil an den Erwerbungen war auf weniger als ein Sechstel heruntergegangen. Der nach langen Verhandlungen erfolgte Wiedereintritt Berlins zum 1. Juli 1914 führte wegen des Ausbruchs des ersten Weltkrieges zu keinen weiteren Erwerbungen mehr.
Literaturverzeichnis
Essler, H. (2009), «Zur Geschichte der Würzburger Papyrussammlung», WJ 33, 165-192.
Martin, A (2007), «Papyruskartell: The Papyri and the Movement of Antiquities», in Bowman, A.K./Coles, R.A./Gonis, N./Obbink, D./Parsons, PJ. (ed.), Oxyrhynchus. A City and its Texts (GraecoRoman Memoirs 93, London) 40-49.
Martin, A./Primavesi, O. (1999), L’Empédocle de Strasbourg (P. Strasb. gr. Inv. 1665-1888) (Berlin).
Primavesi, O. (1996), «Zur Geschichte des Deutschen Papyruskartells», ZPE 114, 173-187.
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1 Grundlegend für die Geschichte des Deutschen Papyruskartells bleibt weiterhin die Darstellung bei Primavesi (1996), auf die hier allgemein verwiesen sei. Vgl. ergänzend Martin (2007) und Essler (2009). Eine vollständige Aufstellung der Berliner Ankäufe über das Kartell mit Angabe der jeweiligen Inventarnummern wird in der in Vorbereitung befindlichen Monographie Holger Esslers über die Geschichte des Deutschen Papyruskartells gegeben werden.
2 Vgl. Primavesi (1996) 174-175.
3 Vgl. Primavesi (1996) 177-178.
4 Für Hilfe bei unseren Recherchen und Publikationserlaubnisse sind wir einer Reihe von Personen und Institutionen zu Dank verpflichtet: Aubrey Pomerance, dem Archivleiter des Jüdischen Museums in Berlin, und seinem Mitarbeiter Manfred Wichmann, Jörn Grabowski, dem Leiter des Zentralarchivs der Staatlichen Museen zu Berlin, Stephan Seidlmayer, dem Direktor des Deutschen Archäologischen Instituts in Kairo, sowie Gisela Bélot und Daniel Bornemann, den Verantwortlichen für die Papyrussammlung der Bibliothèque Nationale et Universitaire de Strasbourg (BNUS), in der auch das zugehörige Archivmaterial aufbewahrt wird. Für die freundliche Betreuung bei der Einsicht in die Akten geht ein besonderer Dank an Isolde Lehnert, Bibliothekarin am DAI in Kairo.
5 Jüdisches Museum Berlin, Nachlaß Rubensohn, Nr. 4.
6 Jüdisches Museum Berlin, Nachlaß Rubensohn, Briefkopierbuch, Brief Nr. 15 (an Eltern), Kairo, 3. Januar 1902, S. 65-11, hier Nachtrag S. 11.
7 Es handelt sich um P. 9182 = BKT II = CPF III 9.
8 Jüdisches Museum Berlin, Nachlaß Rubensohn. Brief Nr. 18 Kairo, 20. Januar 1902, S. 81-83, Brief an die Eltern.
9 P. 9180 enthält auf dem Rekto den Kommentar des Didymos zu Demosthenes-Reden (BKT I), auf dem Verso die Ethik des Hierokles (BKT IV = CPF I 1 **. 60). Vgl. auch Primavesi (1996) 115.
10 Jüdisches Museum Berlin, Nachlaß Rubensohn. Briefkopierbuch, Brief an den Vater (Nr. 17) Kairo, 17. Januar 1902, S. 75-79, hier S. 76f.
11 Jüdisches Museum Berlin, Nachlaß Rubensohn. Brief Nr. 32, S. 124-127, Abusir el Malak, 19. Apr. 1902: An Eltern.
12 Die Textfassung hier nach der Abschrift einer Abschrift, die Borchardt am 22. August 1902 seitens des Kaiserlich Deutschen General-Konsulats für Egypten zuging. Diese ist aufbewahrt in DAIK Altakten: Deutsches Papyruskartell. Korrespondenz 1902-1908.
13 Unser Zusatz nach der Syntax.
14 Zentralarchiv der Staatlichen Museen zu Berlin, I/ÄM 84.
15 Vgl. Primavesi (1996) 175-176.
16 Jüdisches Museum Berlin, Nachlaß Rubensohn. Brief Nr. 37, S. 140-143, Kairo, 24. Mai 1902.
17 Vgl. Primavesi (1996) 187. Zu den Kontakten Wilckens mit den übrigen Kartellmitgliedern vgl. Essler (2009) 183-184.
18 Vgl. Martin (2007) 41 Anm. 1. Daher lassen sich etwa die Würzburger Ankäufe über die Abteilung A nur sehr unvollständig rekonstruieren. Vgl. Essler (2009) 184-187.
19 Ein Beispiel einer solchen Übersicht für die 1905 verteilten Ankäufe B35 – B41 ist bei Martin/Primavesi (1999) 332-335, als Doc. 3 abgedruckt.
20 Auszug aus § 9 der Satzungen der Abteilung B vom Dezember 1902. Diese sind abgedruckt als Dokument 6 bei Primavesi (1996) 185-186.
21 Der Turnus der Verteilungen wurde noch im ersten Geschäftsjahr auf ein Jahr verlängert.
22 Eine beglaubigte maschinenschriftliche Ausfertigung befindet sich in Straßburg, im Bestand «Archiv des Papyruskartells, Bibliothèque nationale et universitaire de Strasbourg (BNUS)» im Ordner XXVI Nr. 5. Sie trägt die Eingangsnummer 5086/03. Eine Abschrift des Verlosungsprotokolls vom 11.9.1905 ist bei Martin/Primavesi (1999) 336-337 als Doc. 10 abgedruckt.
23 Brief Mitteis, Leipzig, an Borchardt, 12. Februar 1904, in: DAIK Altakten: Deutsches Papyruskartell. Korrespondenz 1902-1908.
24 Brief Borchardt, Kairo, an Schubart, Berlin, 12.12.1911, in: DAIK Altakten: Deutsches Papyruskartell. Korrespondenz 1911-1913.
25 Verlosung vom 31.7.1911.
26 Der Text des Schreibens vom 26.2.1912 nach einem maschinenschriftlichen Durchschlag mit Unterschrift in DAIK Altakten: Deutsches Papyruskartell. Korrespondenz 1911-1913.
27 Der Text des Schreibens vom 26.2.1912 nach einem maschinenschriftlichen Durchschlag mit Unterschrift in DAIK Altakten: Deutsches Papyruskartell. Korrespondenz 1911-1913.
28 Eine maschinenschriftliche Ausfertigung des Verlosungsprotokolls, datiert Berlin, den 3. April 1912, wird im Zentralarchiv der Staatlichen Museen zu Berlin, I/ÄM 84, aufbewahrt.