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Der Codex Bodmer und unsere Kenntnis der griechischen Komödie

Horst-Dieter Blume

Welch außerordentlichen Gewinn der Codex Bodmer für die Kenntnis der gesamten griechischen Komödie bedeutet, ist ganz allmählich sichtbar geworden. Zunächst hatte sich das Interesse der Forschung auf das Nächstliegende konzentriert, auf die Konstituierung des überlieferten Wortlauts, auf Sprache und Stil, Charakterzeichnung und Gesprächsführung Menanders. Endlich hielten wir ja mit dem Dyskolos eine erste, bis auf geringe Lücken vollständige Komödie in Händen, und Samia und Aspis konnten mit Hilfe schon vorher bekannter größerer Fragmente nun in ihrem dramatischen Ablauf immerhin annähernd überschaubar gemacht werden. Eine vergleichbare Sicherheit des Urteils gestattet uns nur noch ein einziges weiteres Stück: die Epitrepontes. In allen übrigen Fällen müssen wir uns bislang mit einem Bündel von Einzelszenen begnügen und aus diesen mit mehr oder weniger Glück auf den Handlungsverlauf im ganzen schließen. Leider sind alle «Soldatenstücke» von diesem Schicksal betroffen: der Misumenos, die Perikeiromene und der Sikyonios – vom Kolax ganz zu schweigen. Tatsächlich verfügen wir trotz des gewaltigen Zuwachses an Wissen nur über einen geringen Bruchteil des menandrischen Œuvres – rein rechnerisch nach der Anzahl der Verse kommen wir auf wenig mehr als fünf Prozent –, so daß immer noch jedes neu hinzukommende Textstück Überraschungen bringt.

Aber in dem Maße wie uns Menander allmählich vertrauter geworden ist, wie neben Aristophanes, der für uns das breite Spektrum der Alten Komödie repräsentiert, nun der berühmteste Vertreter der rund hundert Jahre jüngeren Neuen Komödie getreten ist, gewinnen auch die großen Entwicklungslinien schärfere Kontur. Neben den seit jeher schnell ins Auge fallenden Unterschieden zwischen Aristophanes und Menander schärft sich der Blick auch für gewisse Elemente der Kontinuität im Komödienschaffen Athens. Wie in Menanders Werk Elemente der Tradition und der Neuerung einander gegenüberstehen, soll im folgenden verdeutlicht werden.

Zur Kontinuität trugen vor allem der Anlaß und der äußere Rahmen der Aufführungen bei, d.h. ihre Verankerung im Kult des Dionysos. Diese Bindung lockerte sich zwar zusehends, ist aber in Athen zu keiner Zeit ganz aufgegeben worden. Die Etymologie von ϰωμωιδία weist bekanntlich auf den Komos, den schwärmenden Zug der Dionysosverehrer. Von einem Gesang in taumelnder Ausgelassenheit, ausgefürt von einer durch den Gott ergriffenen Schar maskierter und vermummter Tänzer, ist allerdings schon bei Aristophanes nur noch gelegentlich etwas zu spüren. Den genauen Weg «vom dionysischen Tanz zum komischen Spiel»1 können wir nicht mehr nachzeichnen; selbst Aristoteles sah sich dazu offenbar kaum noch in der Lage2. Nach seiner knapp formulierten Hypothese liegen die Ursprünge der Komödie im Wechselgesang derjenigen, die Phalloslieder anstimmen, mit einem respondierenden Chor. Das weist auf magische Fruchtbarkeitsriten, die später im Kult des Dionysos aufgegangen sind. Ob persönlicher Spott wesensmäßig zu solchen (im Grunde undramatischen) Liedern dazugehörte, wissen wir nicht. Aber Verspottung während dionysischer Umzüge am Anthesterienfest sind bezeugt, und die inhaltliche Verwandtschaft der Komödie mit der Invektive (ϕόγος) betont Aristoteles in anderem Zusammenhange, wenn er sagt, Homer habe als erster das alte Rügelied aufgegriffen und in seinem Margites eine Komödie angedeutet3.

Zwei hervorstechende Charakterzüge der Alten Komödie lassen sich also aus der Entstehungsgeschichte erklären: ihre auffallende Obszönität in Kostüm, Gestus und Sprache und ihr Hang zu namentlicher Verspottung unliebsamer Zeitgenossen. Beides soll beim Zuschauer γέλως provozieren, das spontane, ungezügelte und alle Konventionen sprengende Gelächter. Dieser γέλως unterscheidet sich durchaus vom Lachen als bloßem Ausdruck eines frohen Gestimmtseins oder von der kultivierten Äußerung eines freundlichen Überlegenheitsgefühls. Er scheint vergleichbar den tragischen Elementaraffekten des Jammers und Schauders (ἐλεος und φόβος), und als ein solcher eine Katharsis bewirkender Affekt taucht er noch spät im sog. Tractatus Coislinianus auf, wo es überdies bildhaft heißt, die Komödie «habe das Gelächter zur Mutter»4. Es ist schwer zu entscheiden, ob die Obszönität der aristophanischen Komödie noch etwas vom archetypischen, magisch-apotropäischen Charakter bewahrt hat oder nicht. Vielleicht zielt der Dichter, dessen unerschöpfliche Phantasie keine Gelegenheit zu grobem oder subtilem sexuellen Witz ungenutzt vorüberläßt, damit tatsächlich nur noch auf einschlägige Erwartungen seines Publikums. Als dann die während der Demokratie garantierte Redefreiheit verschwand, war es mit der αἰσχρολογία schnell zu Ende. Das spricht eher dafür, den Einfluß des Kultischen nicht hoch zu veranschlagen.

Das Bürgertum des 4. Jahrhunderts empfand diese Freiheit als unschicklich, und allmählich verschwand das grobe Kostüm des komischen Schauspielers mit dem überdimensionalen Phallos. Die Komödie wurde wohlanständig. Ganz eindeutig ist der Befund bei Menander: Die wenigen groben oder unflätigen Wörter, die sich in seinen Komödien noch finden, dienen der Ethopoiie. Es sind meistens Sklaven oder Personen niederen Standes wie Hetären und Köche, die sich ihrer bedienen. Einen Sonderfall scheint der Smikrines aus den Epitrepontes darzustellen; seine ständige Empörung, die nicht Schritt halten kann mit dem Gang der Ereignisse (es ergeht ihm da ähnlich wie dem Demea aus den Adelphen), kommt u.a. darin zum Ausdruck, daß er Habrotonon nicht, wie üblich, als Hetäre bezeichnet, sondern verächtlich als Hure5. Grundsätzlich aber ist Menander daran gelegen, Vulgarismen abzumildern oder ganz zu meiden. Er erreicht dies auf vielfältige Weise. Einen erregten Dialog etwa mit groben Wörten gibt er im Rahmen eines Botenberichts zitatweise wieder und nimmt ihm dadurch einiges von der Schärfe einer direkt vorgeführten Auseinandersetzung; an anderen Stellen läßt er Indezentes nur versteckt andeuten oder mittels einer Aposiopese ganz aussparen6.

Ebenso wie die Obszönität ist die Invektive aus der menandrischen Komödie weitgehend verschwunden. Die beiläufige Verspottung der – sicherlich harmlosen – Parasiten Chairephon und Androkles in der Samia (603ff) ändert am grundsätzlichen Befund unserer Texte nichts. Chairephon ist auch sonst, und schon vor Menanders Zeit, Zielscheibe des Komödienspotts; er spielt als bête noire eine ähnlich prominente Rolle wie zwei Generationen vor ihm der Falstaff-Typ Kleonymos7. Die dem Androkles gewidmeten Verse fehlen im Codex Bodmer; im 3. Jahrh. n. Chr. bildeten sie einen unverständlichen Fremdkörper im Text und konnten darum leicht fortfallen.

Verschwunden ist dementsprechend auch das laute befreiende Gelächter als konstitutives Element der Komödie. Erst nachdem sich die Handlung über vier Akte hin auf dem schmalen Grat zwischen Ernst und Heiterkeit ihrem Ziel genähert hat, findet komödiantische Ausgelassenheit ihren Platz. Das Finale des Dyskolos mit der Verhöhnung des verletzten und wehrlosen Knemon durch Sklaven und Koch macht das vielleicht am besten deutlich. Die Liebeshandlung ist kurz zuvor an ihr Ziel gelangt; statt der erstrebten Hochzeit wird es sogar eine Doppelhochzeit der Geschwisterpaare geben. Die Familienangehörigen haben sich nach und nach eingefunden: die beiden Brautpaare, die Mütter und einer der Väter. Ein einziger fehlt in diesem Kreise: Knemon, gegen dessen Widerstand das Glück errungen wurde. Dem Dyskolos zuletzt einen Denkzettel zu verpassen verlangt die poetische Gerechtigkeit8. Aber er ist kein Bösewicht; seinen Irrtum, daß er auf die Hilfe anderer Menschen nicht angewiesen sei, hat er eingesehen. Sein misanthropisches Wesen jedoch wird er nichtablegen. Die Schlußsequenz, in der Getas und Sikon zuerst die Borgeszenen des dritten Aktes parodieren und dann den Alten zum Tanzen zwingen wollen, um ihn am Ende gegen seinen Willen zu den Feiernden zu schleppen, hat man mit Recht als das Relikt eines Komos angesehen9. Der Wechsel des Metrums zu musikalisch begleiteten jambischen Tetrametern unterstreicht diese Interpretation. Das Versmaß verleiht der Szene zugleich eine gehobene Stimmung: die Verspottung wirkt dadurch weniger aggressiv und verletzend, fast schon wie ein beschwingtes Ballett.

Im Tanz und in lautstarken Freudenrufen (ᾣ ϰαλλίνιϰοι 959) äußert sich der Triumph über den überwundenen Widersacher. Das ist eher ein traditioneller Komödienschluß als einer, der sich aus der speziellen Situation dieses Stückes rechtfertigt, denn Getas hat wenig dazu beigetragen, den Sieg über den widerstrebenden Dyskolos zu erringen. Am Ende werden Kränze und Fackeln aus dem Hause gebracht, und die signalisieren nicht nur die bevorstehende Hochzeitsfeier (mit welcher die Komödien Menanders wohl ohne Ausnahme schließen), sondern sie weisen das Publikum schon über das Stück hinaus wieder auf den gegenwärtigen Festtag der Dionysien hin10.

Gern würden wir wissen, ob der Chor, der die ersten vier Aktschlüsse markiert hatte, auch in die Ausgelassenheit des Finales miteinbezogen wurde. Seinem Charakter nach glich dieser Chor den Komasten, die an den Dionysien durch die Athener Straßen zogen; am Ende des ersten Aktes wird ja stereotyp das Nahen einer ungeordneten Schar junger Burschen gemeldet, die bald mehr, bald weniger betrunken sind und denen man darum schleunigst aus dem Wege gehen sollte11. Ihr Tanzen hat sich vermutlich von dem gesitteten Spiel auf der Bühne deutlich abgehoben: ein dionysisches Intermezzo, das mehr dem Festtage als dem Gehalt der aufgeführten Komödie entsprach. Falls die Choreuten nach jedem ihrer Auftritte wieder durch die Parodos davonstürmten, und nicht wie ein ins Spiel integrierter Chor irgendwo am Rande der Orchestra Stellung bezogen, dann fiel es dem Dichter natürlich leicht, im Finale ganz auf sie zu verzichten. Ob diese Schar – wenigstens in Athen – noch den Umfang eines traditionellen Komödienchores von 24 Mann besaß, geht aus unseren Texten nicht hervor. Im Dyskolos werden einige Pansverehrer angekündigt, auch sie im übrigen angeheitert und sicherlich sehr laut, wie es diese Gottheit ausdrücklich erwartet (vgl. 433f); in der Perikeiromene kommt eine große Anzahl junger Leute herbei12.

Abgesehen also von gelegentlichen Berührungspunkten gibt es wenige Gemeinsamkeiten zwischen der hochkultivierten Komödie Menanders und dem eher undomestizierten dionysischen Kult. Trotzdem wird die alte Tradition aufrecht erhalten und in einer Schlußfloskel der Wunsch geäußert (so im Dyskolos oder im Sikyonios}, daß «Nike, die das Gelächter liebt» dem Dichter und seiner Truppe stets wohlgesonnen bleiben möge:

ἡ δ’ εὐπάτειρα φιλόγελώς τε παρθένος

Νίϰη μεθ’ ἡμῶν εὐμενὴς ἕποιτ’ ἀεί.

In der trochäisch endenden Samia findet sich eine entsprechende Schlußformel. Hier verzichtet Menander auf das stereotype Adjektiv φιλόγελως, ersetzt jedoch das Gelächter durch ein anderes dionysisches Relikt, das sich am Ende dieser Komödie nicht weniger obsolet ausnimmt, nämlich durch die Chöre:

ή δέ ϰαλλίστων ἀγώνων πάρεδρος ἅφθιτος θεὰ

εὐμενὴς ἕποιτο Νίκη τοῖς ἐμοῖς ἀεὶ χοροῖς.

Bedenkt man, daß Menander die Chorlieder gar nicht mehr als einen integrierten Bestandteil seiner Stücke ansah, sondern sie nur noch als Pausenfüller einsetzte, offenbar mit einem ad libitum gewählten Text, dann wird man einer solchen der Tradition verpflichteten Gleichsetzung der Chöre mit dem gesamten Stück kein großes Gewicht beimessen.

Die genannten auf den dramatischen Agon in Athen hinweisenden Formelverse stehen noch hinter der abschließenden Wendung des Dichters an sein Publikum, mit welcher er um wohlwollende Aufnahme und um Beifall bittet. Ich möchte darum nicht ausschließen, daß Menander schon beim Schreiben prinzipiell die Möglichkeit ins Auge gefaßt hat, seine Komödien auch anderenorts, nicht im Rahmen eines Agons, aufzuführen; dann brauchte man lediglich diese Schlußformel wegzulassen. Jedenfalls überstieg die damalige Komödienproduktion schon bei weitem die Kapazität der Athener Dionysien, so daß am Übergreifen auch auf andere Orte und Feste nicht zu zweifeln ist.

Der Charakter der szenischen Darbietung insgesamt aber erfuhr durch den Kult ebensowenig eine verbindliche Regelung wie die Thematik der Handlung. Gewiß, die Dichter kämpften um die Ehre, dem Gott an seinem Fest das schönste Stück aufgeführt zu haben (und darum wird Nike als die ϰαλλίστων ἀγώνων πάρεδρος bezeichnet), aber dadurch ergeben sich für sie durchaus weltliche Konsequenzen: Es wurde selbstverständlich, das eigene Kunstwollen dem Publikumsgeschmack anzupassen. Darin aber liegt prinzipiell eine Quelle der Neuerung.

Während also der Anlaß und die äußeren Umstände der Aufführungen über zwei Jahrhunderte hin annähernd die gleichen blieben, zeigen die Texte beträchtliche Unterschiede. Das ist an sich auch nicht verwunderlich, denn im Gegensatz zu der fest im Mythos eingebetteten Tragödie wurde von der biotischen, d.h. dem Alltagsleben verbundenen Komödie erwartet, daß sie auf die aktuellen Veränderungen im gesellschaftlichen und politischen Leben reagiert.

Es wäre freilich falsch, aus den Unterschieden zwischen Alter und Neuer Komödie schon den Schluß zu ziehen, daß die Dichter eilfertig stets das Neueste aufgegriffen hätten, und zwar aus folgenden zwei Erwägungen: Zum einen hat die Ungunst der Überlieferung die Gewichte ungleich verteilt und die Perspektiven verzerrt. Weil aus einer reichen dramatischen Produktion von Hunderten von Stücken zwischen dem Plutos (aufgeführt i. J. 388) und dem Dyskolos (aufgeführt i. J. 316) nicht ein einziges erhalten geblieben ist, kommt uns Heutigen Menander zweifellos viel neuartiger vor als seinen damaligen Zeitgenossen. Zum anderen stand allen Neuerungsbestrebungen der Dichter ein starkes Potential der Beharrung entgegen, und zwar in mehrfacher Hinsicht. So urteilte das Massenpublikum zweifellos – wie zu allen Zeiten – überwiegend konservativ; es favorisierte das Bewährte und mißtraute formalen Neuerungen ebenso wie thematischen Kühnheiten13. – Stabilisierend wirkte aber auch eine über Perioden des äußeren Umbruchs hinweg fortdauernde dichterische Produktivität wie diejenige des Aristophanes. Das Ende der politischen Komödie, und damit das der zentralen Rolle des Chores als des Repräsentanten der attischen Polis, vollzog sich nicht abrupt, sondern die Elemente eines neuen, mehr im bürgerlich-privaten Bereich angesiedelten Lustspiels (das man später mit dem Etikett «Mittlere Komödie» versah) gewannen schrittweise an Boden. Ein Blick auf das aristophanische Spätwerk lehrt, wie sich Neues mit Altem mischt, und wie es gelang, einen radikalen Bruch in der Tradition zu vermeiden. – Schließlich gilt es noch dies zu bedenken: Seit den homerischen Anfängen haben in der griechischen Dichtung erprobte Formen und Ausdrucksweisen immer schnell den Charakter des Vorbildhaften (um nicht zu sagen: des Verbindlichen) erlangt. Dadurch kam allen poetischen Gattungen ein hohes Maß an Kontinuität und unverwechselbarer Eigenart zu14.

Die Verankerung der Komödie sowohl im Dionysoskult als auch in der Tradition einer literarischen Gattung blieb nicht ohne Folgen für ihre weitere Entwicklung. So haben die Dichter einerseits nie ganz auf den Chor verzichtet, selbst als dieser keinerlei Bedeutung mehr für die Handlung besaß, und sie haben den Gebrauch von Masken auch dann beibehalten, als sie Personen auf die Bühne brachten, die weder dämonisch überhöht noch auf einen festen Typus reduziert waren. – Andererseits haben sie niemals den Versuch unternommen, die überlieferte Versform ganz oder teilweise aufzugeben, so sehr sie sich auch darum bemühten, die komische Diktion der gehobenen Alltagssprache anzunähern: Prosakomödien – etwa in der Tradition der Mimen des Sophron, die Aristoteles bekanntlich anstandslos der Dichtung zurechnet – hat es nicht gegeben.

Die genannten Elemente der Kontinuität innerhalb des griechischen Komödienschaffens fallen indessen weniger stark ins Auge als diejenigen des Wechsels. Daß die Thematik der Komödie, soweit wir auch zurückblicken, nichts mit Dionysos zu tun hat, deckt sich mit dem Befund der Tragödie; daß sie aber den veränderten Lebensbedingungen Rechnung trug, bedeutet einen markanten Unterschied. Dementsprechend sind Wandlungen im äußeren Erscheinungsbild der Komödie ausgeprägter als bei der Tragödie, und es stellt den vielleicht größten Gewinn dar, den uns die Texte des Codex Bodmer beschert haben, daß wir jetzt wirklich konkrete Vorstellungen von dem Ziel besitzen, auf welches die Entwicklung hinausläuft, die sich im aristophanischen Spätwerk bereits abzeichnet.

Das Ende der Alten Komödie wird gewöhnlich mit der Niederlage der attischen Demokratie in Verbindung gebracht. Als unmittelbare Konsequenz dieser Niederlage sei die schrankenlose Redefreiheit abgeschafft worden, die in der persönlichen Invektive (ὀνομαστὶ ϰωμωιδεῖν) einen ausgeprägten, wenn auch seit jeher heftig umkämpften Ausdruck gefunden hatte. Daraufhin sei zuerst die Parabase, bald darauf der Komödienchor insgesamt hinfällig geworden.

Diese Hypothese wird dem Sachverhalt nur in unzureichendem Maße gerecht, denn die Übergänge waren fließend: Mit dem Ende des Peloponnesischen Krieges wurde nur besiegelt, was längst zuvor in die Wege geleitet war. Tatsächlich hatte während des letzten Viertels des 5. Jahrh.s ein grundlegender Wandel in der Musik stattgefunden; die Mittel des musikalischen Ausdrucks wurden verfeinert, ja aufs höchste kompliziert. Die neuen Impulse waren von den Dichtern des Dithyrambos ausgegangen. Sie verzichteten auf die überlieferte strophische Gliederung und schufen stattdessen rhythmisch frei durchkomponierte Lieder. Euripides griff als erster der Dramatiker diese moderne Musik auf. Er ging aber noch einen Schritt weiter, indem er die Neuerungen nicht für den Chor, sondern für Soloarien seiner Schauspieler nutzbar machte, d.h. das musikalisch-tänzerische Element unmittelbar in die Handlung einbezog. Die raffinierten, auf Wirkung bedachten Melodien begünstigten die schnelle Ausbreitung eines professionellen Virtuosentums, während dem Vortrag der herkömmlichen Laienchöre demgegenüber etwas Altmodisches anzuhaften begann. Eine zunehmende Abkehr von der Chorlyrik war die Folge.

Aristophanes überschüttet die neue Musik mit sarkastischem Spott. Er vermittelt uns auf diese Weise eine Vorstellung davon, wie wenig die konservative Mehrheit der Athener solche Neuerungen offenbar geschätzt hat. Und trotz alledem übernimmt er selber diese unstrophischen Monodien aus der Tragödie – das wohl berühmteste Beispiel ist das Lied des Wiedehopfs aus den Vögeln – und schränkt zugleich die Rolle des Chores von Jahr zu Jahr mehr ein. In beiden dramatischen Gattungen verlief die Entwicklung also parallel.

Für die Komödie kam als ein weiteres den Chor einschränkendes Element die Abkehr von politischen Themen hinzu. Solange die Dichter Ereignisse des gesellschaftlichen Lebens zum Anlaß ihrer dramatischen Handlungen nahmen, hatte der Chor als ideale Verkörperung der attischen Bürgerschaft eine sinnvolle Funktion, und das Athener Publikum sah sich auf diese Weise direkt in das Geschehen mit einbezogen. Die Grenzen zwischen Theater und Wirklichkeit waren durchlässig, die Form der Komödie war eine offene, und dementsprechend wurde die dramatische Illusion immer wieder durchbrochen.

Doch das Interesse wandte sich immer mehr privaten Sujets zu. Probleme des bürgerlichen Familienlebens und des individuellen Wohlergehens traten in den Vordergrund, so daß der alte repräsentative Chor jetzt auch für das dramatische Geschehen (und nicht nur musikalisch) seine Bedeutung einbüßte. Der aristophanische Plutos besitzt als das einzige erhaltene Textzeugnis aus dieser Übergangs-periode für uns den größten Wert. Nur noch der Chorführer ist locker in die Handlung eingebunden; während der Parodos läßt er sich vom Sklaven Karion (und bezeichnenderweise übernimmt hier schon der Schauspieler die Initiative) zu einem ausgelassenen, σϰώμματα genannten mimetischen Tanz hinreißen. Das sich anschließende eigentliche, die Handlung gliedernde und eine Pause markierende Chorlied in einem anderen, vermutlich getrageneren Tone (Plut. 317: ἐπ’ ἄλλ’ εἷδος τρέπεσθε) ist bereits nicht mehr Teil des überlieferten Textes. Statt seiner lesen wir in den Handschriften die bloße Notiz χοροῦ.

So veränderte sich mit dem Schwinden des Chores die Struktur der Komödie. Der sog. epirrhematische Bau der frühen aristophanischen Stücke mit ihren lebhaften Agon-Szenen, ihrer Interaktion von Einzelspieler und Chor, wich einem überwiegend episodischen Bau mit immer strikter durchgeführter Trennung von Sprechszene und Chorlied. Das prägende Vorbild der Tragödie ist hier nicht zu übersehen. Damit aber befindet sich die Komödie auf dem Wege zu einem geschlossenen Kunstwerk15.

Dies soll das Stichwort zum zweiten Teil meiner Darlegungen sein. Der um mehr als ein halbes Jahrhundert jüngere Dyskolos gibt zu erkennen, daß Menander dem Ziel einer geschlossenen Form näher gekommen ist als irgendein anderer antiker Komödiendichter. Vieles von dem, was Aristoteles in seiner Poetik zur Form der Tragödie bemerkt hatte, um daraus den Schluß zu ziehen, sie habe die ihr naturgemäße Ausprägung gefunden (ἔσχε τὴν αὑτῆς φύσιν), trifft eine Generation später auch auf die Komödie zu. Eine ganze Reihe typischer Merkmale weist die Stücke Menanders als geschlossene Kunstwerke aus, vor allem:

1. ihre Autonomie gegenüber der Alltagswirklichkeit,

2. ihre Einheitlichkeit in der Thematik und im Stil,

3. ihr wohlproportionierter Aufbau.

Diese Punkte möchte ich nacheinander etwas ausführlicher behandeln, wobei von Mal zu Mal der Blick auf die ganz anders geartete Alte Komödie zurückgelenkt werden soll.

1. Was die Autonomie der Bühnenhandlung gegenüber dem Publikumsalltag betrifft, so hat Menander sich weit von der Praxis der Alten Komödie entfernt, die diese beiden Bereiche in phantasievoller Freiheit miteinander verquickt hatte. Das Publikum wird von Menander nicht so sehr in das dramatische Geschehen hineingezogen als vielmehr mit ihm konfrontiert. Mittels eines bewußten Kunstwollens schafft er eine Bühnenrealität, die zwar ein Abbild der Alltagswirklichkeit ist, nicht aber Elemente derselben unverändert übernimmt. Andererseits sind dramatische Handlung und reales Umfeld der Zuschauer in der Neuen Komödie nicht so streng voneinander getrennt wie in der Tragödie, die schon deswegen, weil sie in mythischer Ferne angesiedelt ist, sich direkter aktueller Bezugnahmen in der Regel enthält16. Vor allem fehlen dort die Anspielungen auf die unmittelbare Theatersituation, offenbar weil man der Überzeugung war, daß diese dem Ernst der Gattung Abbruch tun17. Da solche Anspielungen jedoch ein traditionelles gattungsspezifisches Element der Komödie darstellen, finden sie sich vereinzelt auch bei Menander: oft in formelhaften Wendungen, manchmal als bewußt gesetzte lumina18. Diese gelegentlichen Durchbrechungen der dramatischen Illusion können freilich nicht das Erscheinungsbild von der menandrischen Komödie als das eines überwiegend geschlossenen Kunstwerkes trüben.

Hierzu einige Einzelheiten. Die schon erwähnte Schlußformel mit der Bitte an die Zuschauer um Applaus:

μειράϰια παῖδες ἄνδρες, ἐπιϰροτήσατε

kann im Grunde unberücksichtigt bleiben, da sie außerhalb des eigentlichen Stückes steht. Immerhin verdient es hervorgehoben zu werden, daß Euripides in vergleichbaren Schlußversen wiederum nicht auf die Zuschauer, sondern allein auf das Stück Bezug nimmt:19

πολλαὶ μορφαὶ τῶν δαιμόνιων,

πολλὰ δ’ ἀέλπτως ϰραίνουσι θεοί

ϰαὶ τὰ δοϰηθέντ’ οὐϰ ἐτελέσθη,

τῶν δ’ ἀδοκήτων πόρον ηὖρε θεός.

τοιόνδ’ ἀπέβη τόδε πρᾶγμα.

Als ergiebiger erweist sich dagegen ein Vergleich der Prologe. Ihr Sprecher ist bei Menander bekanntlich immer dann ein Gott oder eine gottähnliche allegorische Figur, wenn Ereignisse aus einer weit zurückreichenden Vorgeschichte mitgeteilt werden. Adressat ist ausschließlich das Publikum, das die Zusammenhänge überschauen soll, damit es dem Gang der Handlung konzentriert und mit Vergnügen folgt. In diesem Punkte unterscheiden sich die Komödienprologe von denen des Euripides, obwohl sie ihnen in vielen formalen Details verpflichtet sind. Der tragische Prologsprecher bleibt innerhalb der Sphäre des Dramas und wendet sich nicht expressis verbis ans Publikum; sofern überhaupt jemand angeredet wird, ist dies eine personifizierte Wesenheit wie: das Haus des Admet (Alkestis) oder die Wässer des Inachos (Elektra), die Sonne (Phoinissai) oder die Nacht (Andromeda). Letzteres hat Menander mit deutlicher Paratragodie in seinen Misumenos übernommen, freilich mit einem bezeichnenden Unterschied: Thrasonides’ pathetischer Anruf an die Nacht ist nicht der Beginn eines Prologs, sondern der eines Monologs, welcher nach einigen Versen in ein Zwiegespräch übergeht. Vermutlich folgte dem später noch ein Götterprolog20.

Menanders Prologe sind also durchweg ans Publikum gerichtet, gleichgültig ob sie das Stück eröffnen (wie im Dyskolos) oder ob sie nachgestellt sind (wie in der Aspis), ob eine Gottheit spricht (wie in den beiden genannten Stücken) oder ein Mensch (wie in der Samia). Ihr erklärter Zweck ist die Belehrung (z. B. Asp. 113f.):

ταυτὶ μὲν οὗν μεμαθήϰατε / ἱϰανῶς.

Wir wissen ja, daß Menander die größte Mühe auf die Konstruktion seiner Fabeln wandte, und entsprechend mußte ihm an einem kundigen Publikum gelegen sein. Er war davon überzeugt, daß nur derjenige, der die großen Zusammenhänge überschaut, auch die Feinheiten im Detail wirklich zu würdigen vermag. Dies erhellt aus den wohl formelhaften Schlußversen der Prologrede des Pan (Dysk. 45f.), die im Sikyonios wieder kehren (Sik. 23 f):

ταῦτ’ ἐστὶ τὰ ϰεφάλαια, τὰ ϰαθ’ ἕϰαστα δὲ

ὄψεσθ’ ἐὰν βούλησθε. βουλήθητε δέ.

Für unsere Fragestellung von besonderem Interesse ist die Art und Weise, wie Agnoia in der Perikeiromene ihre Rede beschließt, nämlich indem sie die Zuschauer ohne Umschweife als θεαταί anredet und damit die spezifische Theatersituation deutlich hervorhebt (Perik. 170f.):

ἕρρωσθ’, εὑμενεῖς τε γενόμενοι

ἡμῖν, θεαταί, ϰαὶ τὰ λοιπὰ σώιζετε.

Die Bedeutung der Agnoia für das Spiel können wir angesichts des fragmentarisch erhaltenen Textes nicht recht ermessen. Wichtig ist, daß sie die Handlung überhaupt erst in Gang gesetzt hat, indem sie Polemon (und zwar gegen dessen eigentliche Natur) zu der rohen Tat an Glykera anstiftete21; an den weiteren Verwicklungen aber brauchte sie nicht mehr beteiligt zu sein. Tatsächlich ist sie ja keine eigenständige Person, sondern die Personifizierung einer Geisteshaltung, die sich in den handelnden Menschen der Komödie manifestiert. Bei einer solchen Kunstfigur überrascht es vielleicht weniger, wenn sie am Ende ihrer Rede (plötzlich nur noch als Sprachrohr des Dichters fungierend) für eine wohlwollende Aufnahme der Schauspielertruppe plädiert. Mit den Worten εὐμενεῖς τε γενόμενοι ἡμῖν tritt sie aus ihrer Rolle heraus und reiht sich unter die Schauspieler ein. Das erinnert an die Argumentationsweise eines aristophanischen Chores in der Parabase.

Noch besitzen wir viel zu wenige Texte für ein verläßliches Urteil über Menanders Prologtechnik. Aber ein wenig hilft uns die römische Palliata weiter. Da findet sich ein Gegenstück zum Schluß der Agnoia-Rede, nämlich der Prologus des Poenulus, der sich mit den folgenden Worten von den spectatores verabschiedet (Poen. 128):

valete atque adiuvate, ut vos servet Salus.

Die Parallele wirkt auf den ersten Blick bestechend: «Lebt wohl» (valete entspricht ἒρρωσθε) «und seid uns gewogen» (adiuvate entspricht εὐμενεῖς γενόμενοι); und während Menander dann fortfährt: «laßt auch den Rest des Stückes erfolgreich sein», endet Plautus mit einer freundlichen Geste an sein Publikum: «damit Salus, das Glück, euch bewahrt» (wobei im servet sogar noch das griechische σώιζειν anzuklingen scheint). Menanders Formulierung ist offensichtlich traditionell. Sie könnte von Alexis übernommen sein, und zwar nicht nur deswegen, weil auf dessen Karchedonios so gut wie sicher der plautinische Poenulus beruht, sondern weil nach einer antiken Tradition Menander vom älteren Alexis das dichterische Handwerk gelernt haben soll22.

Unterschiedlich ist die Wahl des jeweiligen Prologsprechers. Plautus bedient sich eines anonymen Prologus, der gar keine Rolle, sondern nur eine Funktion verkörpert und infolgedessen von der eigentlichen Komödie ganz abgesondert ist23. Menander aber individualisiert, er schafft sich eine Sprecherin, deren Wesen zur Komödienhandlung paßt; seine Agnoia ist eine den Gang der Ereignisse in Bewegung setzende Figur, die nach einer langen, strikt auf die verwickelten Personenbeziehungen konzentrierten Rhesis nur am Ende einmal kurz aus ihrer Rolle fällt. Wir beobachten auch hier Menanders Bemühen um eine geschlossene Dramenform.

Am auffälligsten sind natürlich jene Stellen, an denen eine am szenischen Geschehen beteiligte Person die dramatische Illusion durchbricht. Das geschieht stereotyp durch den Ausruf ἄνδρες, d.h. einen Appell an das (wie man sieht: männliche) Publikum und zwar in Situationen höchster emotionaler Erregung24. Mit einem solchen Ausruf hebt Menander nicht nur die Stimmung des Sprechenden hervor, sondern ruft zugleich das Publikum zu besonderer Aufmerksamkeit auf.

Im Dyskolos geschieht das an drei Stellen. Da ist gegen Ende des 1. Aktes Sostratos vom plötzlichen Anblick des geliebten Mädchens so überwältigt, daß er in einem Atemzuge Zeus, Phoibos Paian und die Dioskuren anruft und, als sei das alles nicht genug, seine Ergriffenheit auch noch dem Publikum beteuert (194): ἄνδρες, [τρέμω. Seine Situation verlangt tatsächlich besondere Beachtung, denn ganz selten nur zeigt die Komödie eine solche Begegnung eines jungen Paares. Eine Liebesszene ist es natürlich nicht, sondern nur ein flüchtiges Zusammentreffen zwischen einem Verliebten und einem Mädchen, das von seinem Glück noch gar nichts ahnt. Während Sostratos nur für sie Augen hat, ist ihr Blick ängstlich rückwärts gerichtet auf die Haustür. Sie hat nur den Wunsch, unbemerkt vom Vater schnell ihren Krug zu füllen; den feinen jungen Herrn aus der Stadt schaut sie kaum an. Sostratos aber wirkt in seinem hilflosen Überschwang der Gefühle sogar etwas komisch, keineswegs jedoch lächerlich: Nicht γέλως wäre hier die angemessene Reaktion der Zuschauer, sondern ein von Sympathie zeugendes Lächeln über menschliche Unvollkommenheit.

Im 4. Akt ist es noch einmal Sostratos, der sich ans Publikum wendet, wiederum in einem Zustand höchster – diesmal freudiger – Erregung. Er hat soeben hinter der Szene die Rettung Knemons aus dem Brunnen miterlebt, dabei aber wieder nur Augen für dessen Tochter gehabt. Er setzt ein mit einer Anrufung aller nur möglicher Zeugen für seine Glückseligkeit (666f):

ἄνδρες, μὰ τὴν Δήμητρα, μὰ τὸν ᾽Ασϰληπιόν,

μὰ τοὺς θεούς…

und zeigt dabei den gleichen Überschwang der Gefühle wie an der erstgenannten Stelle. Auch hier liegt in der emphatischen Beteuerung, die das Publikum neben eine übertrumpfende Reihung von Götteranrufungen setzt, eine komische Pointe.

Den dritten Beleg für ἄνδρες liefert der Koch Sikon. Der malt sich voller Schadenfreude aus, wie man Knemon in jämmerlichem Zustande aus dem Brunnen zieht (659): «Da möchte ich gern Zeuge sein, ihr Leute, beim Apollon hier!» Also auch an dieser Stelle wird die Hinwendung ans Publikum durch einen Götteranruf bekräftigt. Sikons Ausbrechen aus der dramatischen Illusion ist sowohl ein Mittel der Ethopoiie (die Kränkung des selbstbewußten Kochs wird sich als folgenreich erweisen für den Schluß der Komödie) als auch ein Aufmerksamkeit heischendes Signal an die Zuschauer (der in der Tat jämmerliche Zustand Knemons ist die notwendige Voraussetzung für den erwarteten glücklichen Ausgang der Liebeshandlung).

Menander verwendet, wie man sieht, diese formelhaften Anrufungen des Publikums sparsam und wohlüberlegt. Entsprechend der antiken Bühnenkonvention sind sie beschränkt auf solche Situationen, in denen die Präsenz einer Zuschauerschaft stillschweigend vorausgesetzt wird: auf beiseite (ad spectatores) gesprochene Bemerkungen und auf Monologe.

2. Daß Menanders Komödien sich durch Einheitlichkeit in der Thematik und im Stil auszeichnen, entgeht keinem Leser. Ihr homogener Charakter beruht auf der Knappheit der äußeren Handlung und deren Verinnerlichung durch die Konzentration auf charakterbedingte Motive. Um dieses Ziel zu erreichen, mußte Menander allerdings auf vieles verzichten, was die Komödie früherer Epochen auszeichnete. Vom Schwinden des Musikalischen, dem Rückzug des Chors aus der Handlung, war schon die Rede. Die metrische Vielfalt ist damit einer weitgehend einheitlichen Vers form gewichen. Vor allem aber war die neue Geschlossenheit nur durch einen Verzicht auf die Phantastik der Einfälle, die Fülle der Figuren und die Grenzenlosigkeit der Schauplätze zu erkaufen.

Auf den letzten Punkt möchte ich etwas näher eingehen. In den menandrischen Komödien ist der Schauplatz reduziert auf den eng begrenzten Lebensraum griechischer Mittelstandsbürger, meistens auf eine Straße in Athen, irgendwo zwischen Agora und Piräus, den beiden Brennpunkten des geschäftlichen Lebens. Zwei oder drei Häuser sind auf der Bühne sichtbar, dazu ein Steinmal, welches den die Straßen schützenden Apollon Agyieus repräsentiert. Ein solcher steht auch vor Knemons Haus, obwohl der doch vor den Menschen geflohen ist, fort von der Straße und hinauf auf den Hügel. Der zur normalen Bühnenausstattung gehörende Apollon behält also seinen Platz, selbst wenn er für die Handlung ohne Belang ist25.

In einem solch traditionellen Rahmen bleibt wenig Platz für Lokalkolorit. Für Athen als Schauplatz der Handlung kann Korinth (Perikeiromene) oder Eleusis (Sikyonios) eintreten, ohne daß sich etwas ändert. Der Dyskolos allerdings bildet eine auffällige Ausnahme. Schon das Bühnenbild mit der Nymphengrotte im Zentrum und erst recht Pans leibhaftiges Erscheinen als Prologgott stimmen den Zuschauer auf den ländlichen Schauplatz ein26. Der aus Pansverehrern bestehende Chor rückt das Ambiente zusätzlich ins Bewußtsein, möglicherweise mit charakteristischer «panischer» Musik. Während andere auf dem Lande angesiedelte Komödien ebensogut hätten in der Stadt spielen können (z. B. die Epitrepontes, aber auch – vielleicht bis auf die Eingangsszene – der Heautontimorumenos)27, ist im Dyskolos das Landleben fest in die Handlung integriert. Weil Knemon sich, wenn überhaupt, nur demjenigen zugänglich zeigt, der seinen Lebensstil akzeptiert, muß der elegante Stadtjunge Sostratos zu einer Intrige Zuflucht nehmen und versuchen, sich als Bauer darzustellen.

Dazu benötigt er nicht nur ein typisches Requisit, die schwere zweizinkige Hacke (δίκελλα) zum Lockern des Bodens, sondern muß auch seinen feinen Mantel (χλανίς) ablegen. So verwandelt in seiner äußeren Erscheinung wird aus dem reichen Nichtstuer ein Landarbeiter (αὐτουργός). Und wenn er als der Freigeborene zum Sklaven Daos sagt (370): ἕτοιμος πάντα πειθαρχεῖν, dann wird aus diesem Wandel sogar ein bewußter Rollentausch, aus dem Menander jedoch (und das ist bezeichnend für seine Kunstauffassung) kein komisches Kapital schlägt28. Zwar erreicht Sostratos sein Ziel nicht, Knemon für sich zu gewinnen, bewirkt aber immerhin mit seiner Einwilligung, grobe körperliche Arbeit zu verrichten und einen Sonnenbrand in Kauf zu nehmen, daß er diesem als Bauer und nicht als fauler Herumtreiber erscheint. Als dann Gorgias die Rolle des gesetzlichen Vertreters seiner Schwester übernommen hat, führt er die Liebeshandlung schnell zum guten Ende. Nach der offiziellen Verlobungsformel rühmt er noch einmal ausdrücklich (wenn auch reichlich altklug) Sostratos’ unvoreingenommene Bereitschaft, eine Hacke in die Hand zu nehmen und sich abzumühen (764ff)29.

Dem bäuerlichen Requist, der δίϰελλα, kommt die Bedeutung eines Leitmotivs zu. Am Ende des 1. Aktes (206ff) begibt sich Daos mit ihr hinaus aufs Feld zu Gorgias, von wo beide zu Beginn des nächsten Aktes zurückkehren. Daraufhin übergibt Daos sie dem Sostratos (375ff), da dieser sich vor Knemon als Landarbeiter erweisen will. Aber seine Plackerei wird vergeblich sein, weil Knemon sich gezwungen sieht, an diesem Tage zu Hause zu bleiben. Er läßt sich darum schließlich von Daos bei der Arbeit wieder ablösen und kehrt lahm zurück, um seiner Geliebten nahe zu sein. Da erfährt er vom Opferschmaus im Nymphenheiligtum, eilt noch einmal hinaus, um seine neuen Freunde einzuladen, und trifft am Ende des 3. Aktes mit ihnen wieder ein. Jetzt trägt Daos die δίϰελλα ins Haus zurück (616), und damit ist diese Episodenreihe abgeschlossen.

Das motivische Gewebe wird noch dichter, wenn man erfährt, daß Pan als wirkende Macht hinter diesen Begebenheiten steht. Ein Traum nämlich hat Sostratos’ abergläubische Mutter zum Schauplatz der Ereignisse geführt: Ihr war, als habe Pan ihrem Sohn nicht nur Fesseln angelegt (das bevorstehende coniugium), sondern ihn mit Fellumhang und Hacke (δίϰελλα 416) auf den Acker geschickt. Diesem Alptraum mußte sie mit einem Opfer wehren! Von einer zweiten Hacke, einer aus Knemons Besitz, wird nur gesprochen, jedoch spielt sie im hinterszenischen Geschehen eine wichtige Rolle. Nachdem Simiche den Schöpfeimer in den Brunnen hat fallen lassen (190), band sie die δίϰελλα an ein morsches Seil, um ihn herauszuangeln, und verlor dabei auch diese (576ff). Knemon aber, der wegen der vielen Leute in der Nachbarschaft sein Haus nicht verläßt und im Hof mit der Hacke Mist zusammenkratzen will (584ff), sieht sich veranlaßt, in den Brunnen hinabzusteigen, was seinen Unfall zur Folge hat. So ist auch dieses Requisit fest in den dramatischen Fortgang einbezogen.

Die Einheit stiftende Funktion eines Requisits wird noch deutlicher in den Epitrepontes. Hier ist es der Ring, welchen die an den Tauropolien vergewaltigte Pamphile dem Charisios abnahm und später ihrem ausgesetzten Kind mitgab. Von Daos, der das Kind aufhob, gelangte dieser Ring durch den Schiedsspruch des Smikrines weiter an Syros und von diesem wiederum über Onesimos und Habrotonon an Charisios zurück. Das wird so kunstvoll und zugleich unaufdringlich gestaltet, daß man schon versteht, warum Menander den größten Teil seiner dichterischen Arbeit als geleistet ansah, sobald er die Einzelheiten des Handlungsverlaufs festgelegt hatte.

Aristophanes ist an solcherlei Konsequenz gar nichts gelegen30. Dafür zwei kurze Beispiele: Lysistrate (mit ihrem schönen sprechenden Namen) versammelt aus Friedenssehnsucht die Frauen, die ihre auf Feldzügen abwesenden Männer vermissen, und proklamiert den Ehestreik als Mittel, den Krieg zu beenden. Aber wie soll man gegen Abwesende erfolgreich streiken? Plötzlich also sind die Männer doch zu Hause, und ihr burleskes Hingehaltenwerden und ihr sexueller Notstand geraten im zweiten Teil der Komödie zu komischem Selbstzweck. – Im Plutos wird der blinde Gott des Reichtums wieder sehend gemacht, damit er fortan seine Gaben gerecht, d.h. nur noch an die Anständigen, austeilt. In die Auseinandersetzung aber mischt sich ein anderes Konzept, wonach plötzlich alle Menschen ohne Ansehen ihres Charakters zu Reichtum gelangen, was zur Folge hat, daß niemand mehr arbeiten oder im gesellschaftlichen (und natürlich wieder erotischen) Umgang sich Zurückhaltung auferlegen will. – Solche Inkongruenzen zeigen, daß Aristophanes die komische Wirkung der Einzelszene höher veranschlagt als ein widerspruchsfreies Gesamtkonzept. Er hat darin – ungeachtet der menandrischen Leistung – auch späte Nachfolger gefunden: so ist Plautus offensichtlich an der größtmöglichen komischen Wirkung jeder einzelnen Szene oder dramatischen Situation interessiert. Dafür nimmt er Brüche in der Anlage seiner Charaktere in Kauf.

3. Der streng umrissenen Thematik der menandrischen Komödien entspricht schließlich auch ihr wohlproportionierter Bau. Die Konstruktion der dramatischen Geschehnisse ist bruchlos und von Anfang an zielgerichtet. Daraus ergibt sich ein kontinuierlicher und konsequenter Fortgang der Handlung, der eigenständige Episoden nicht zuläßt; alle auftretenden Personen müssen vielmehr einen festen Bezug zum Thema und den Protagonisten aufweisen. – Ganz offensichtlich erfüllt Menander die Forderung des Aristoteles nach Einheit und Ganzheit einer dramatischen Handlung (ἕν ϰαὶ ὅλον), der wohl wichtigsten Voraussetzung für ein geschlossenes Kunstwerk.

Seit ihrer Etablierung an den Dionysien zählte die Komödie zu den literarischen Großformen, so daß noch eine weitere aristotelische Formulierung, nämlich das μέγεθος ἐχούσης aus der Tragödiendefinition, auf sie zutraf. Es kann darum nicht verwundern, daß Menander auf die gliedernde Unterteilung seiner Komödienhandlungen besondere Sorgfalt verwendete. Dabei mußte er zwei sehr verschieden gearteten Anforderungen genügen: er mußte einerseits der Problematik des jeweiligen Stückes Rechnung tragen und durfte andererseits die Aufnahmefähigkeit des Publikums nicht überbeanspruchen. Das erste zielt auf eine wohlkalkulierte Verflechtung der Motive und eine allmähliche Entfaltung der Charaktere sowie (damit verbunden) auf eine umsichtige Spannungssteigerung; das zweite auf eine möglichst gleichmäßige, nach Verszahlen quantifizierbare Binnengliederung. Daß diese Gliederung nach einem festen Prinzip erfolgte, nämlich durch vier in regelmäßigen Abständen eingelegte Intermezzi des Chores, wissen wir mit letzter Sicherheit erst durch den Codex Bodmer und wurden darin bestätigt durch den hochbedeutsamen Fund der Menander-Mosaiken aus Mytilene31. Das uns heute noch vertraute Fünf-Akte-Schema ist eine Erfindung des 4. Jahrhunderts v. Chr.

Als theoretische Forderung begegnet die Einteilung in fünf Akte erstmals in der Ars Poetica des Horaz, in einem Abschnitt, der von technischen Details der Tragödie handelt (189f):

neve minor neu sit quinto productior actu fabula.

Eher beiläufig erwähnen noch die Grammatiker Euanthius und Donat im 4. Jahrh. n. Chr. die Fünfzahl der Akte, nun in Zusammenhang mit den Komödien des Terenz.

Es war eine Folge der unbestrittenen Autorität des Horaz (und daneben sicherlich auch der des Seneca), daß die Form des fünfaktigen Dramas in der Geschichte des europäischen Theaters bis in unser Jahrhundert hinein eine bedeutsame Rolle gespielt hat. Was man aber bis vor kurzem nicht gewußt hat, war dies: aufgrund welcher griechischer Originale Horaz seine apodiktische Forderung erheben konnte. Angesichts fehlender Quellen hatte noch vor einer Generation William Beare die Skepsis so weit getrieben, daß er mit Nachdruck die These verfocht, das Fünf-Akte-Schema sei eine Erfindung römischer Pedanterie, und Horaz habe allenfalls auf Varro zurückgegriffen32. Heute sind wir dank des Dyskolos-Fundes einen Schritt weiter gekommen und wissen, daß schon für den frühen Menander diese Dramenform verbindlich war. Aber erfunden hat er sie sicher nicht.

Der Rückzug des Chores aus der Spielhandlung hatte ja schon im 5. Jahrhundert eingesetzt und verlief in beiden dramatischen Gattungen parallel. Beim Tragiker Agathon produzierte sich die überfeinerte Gesangskunst in virtuosen Solo-Arien, was dazu führte, daß die Chöre zu bloßen Einlagen (ἐμβόλιμα) herabsanken, und im aristophanischen Plutos beschränkt sich (wie oben erwähnt) die aktive Rolle des Chors auf spärliche Rudimente einer Parodos, während er im übrigen in die Anonymität verfällt. Siebenmal lesen wir in den Handschriften noch die bloße Notiz χοροῦ33. Da kündigt sich die gliedernde Funktion von Zwischenakt-Intemezzi an. Aber weder die Anzahl solcher Einschnitte liegt hier schon fest, noch folgen diese auch nur annähernd in regelmäßigen Abständen aufeinander. Die Trimeterabschnitte (gewisssermaßen den Epeisodien der Tragödie vergleichbar) variieren in der Größenordnung zwischen dreißig und dreihundert Versen. Noch bestimmt kein vorgegebenes Schema die Gliederung und damit die Disposition des Stoffes, sondern die bei der Dramatisierung sich ergebende Szenenfolge zieht die Einschnitte nach sich.

Manches scheint für die Annahme zu sprechen, daß die Tragödie der Schrittmacher in dieser Entwicklung gewesen ist und als erste zu einer Einteilung in fünf Akte gelangte, auch wenn uns keine Texte der Euripides-Nachfolger erhalten sind – also des Agathon oder des Chairemon und Karkinos, die der Daos im 3. Akt der Aspis zitiert. Die Tragödie strebte ja seit jeher zu formaler Geschlossenheit und thematischer Einheit34.

Die Komödie dürfte diese Bauform aufgegriffen haben, als sie ihre phantastischen Züge abstreifte und unter dem maßgeblichen Einfluß des Euripides sich einer psychologisch vertieften Darstellung menschlicher Schwächen zuwandte. Die wachsende Alltäglichkeit ihrer räumlich und zeitlich fest umgrenzten Stoffe und Themen weckte das Bedürfnis nach einer adäquaten Form der Darbietung; je weniger es auf die Originalität komischer Einfälle ankam, umso dringender war eine Unauffälligkeit auch in der äußeren Einkleidung geboten.

Antike Gewährsleute bieten für die Fünfzahl der Akte keine Erklärung. Eines aber ist sicher: Der einzelne Akt bildet keine selbständige, in sich geschlossene Einheit, sondern weist über seine Grenzen hinaus. Nicht selten treten kurz vor Aktschluß noch neue Personen auf, die auf das Weitere neugierig machen, z. B. Sikon und Getas als Vorhut der Opfergesellschaft (Dysk. II) und Kallippides als deren Nachzügler, der das Happy End einleiten wird (Dysk. IV); Demeas und Nikeratos als Heimkehrer von einer Geschäftsreise an den Pontos (Sam. I) und Kleostratos als Heimkehrer aus lykischer Gefangenschaft (Asp. IV). In anderen Fällen wird am Aktschluß etwas für den Fortgang der Handlung Entscheidendes angekündigt, z. B. Knemons Entschluß, selber in den Brunnen zu steigen (Dysk. III) oder Onesimos’ Vorsatz, den Ring dem Charisios zu zeigen, um die Herkunft des Kindes zu klären (Epitr. II). Zweifellos also üben die Entr’acte-Darbietungen des Chores zwei gegensätzliche Funktionen aus, sie trennen und überbrücken zugleich. Dafür läßt sich, denke ich, eine Erklärung beibringen. Die Chor-Intermezzi dienen primär den Bedürfnissen des Publikums nach einer kurzen Pause der Erholung, nicht aber der inneren Strukturierung der dramatischen Handlung. Tatsächlich entspricht der Umfang eines Aktes von durchschnittlich zweihundert Versen etwa derjenigen Textmenge, die ein Zuschauer, ohne zu ermüden, mit voller Aufmerksamkeit aufnehmen kann35.

Für die Gliederung der Komödienhandlung selbst galten offenbar andere Maßstäbe, sonst hätte Menander die Einschnitte an den Aktschlüssen nicht verschleiert36. Ob er allerdings nach einem vorgegebenen Bauplan verfuhr, d.h. eine konkrete Vorstellung von einer typischen Verlaufskurve des dramatischen Geschehens hatte, oder ob er sich eher von seiner Erfahrung und seinem Gespür für szenische Wirkung leiten ließ, können wir nicht mit Sicherheit entscheiden.

Erhalten sind uns aus der Antike zwei konkurrierende Hypothesen. Die eine stammt wiederum von Aristoteles, der zwei Phasen der dramatischen Handlung unterschied: die Verknüpfung und die Lösung der Probleme37. Für das Verständnis der menandrischen Komödie ist dieses Schema nicht sehr hilfreich, denn es ergeben sich daraus zwei ganz ungleich gewichtige Teile. In allen drei Komödien des Codex Bodmer setzt nämlich erst in der zweiten Hälfte des vierten Aktes die Umkehrbewegung, d.h. die Lösung ein: in der Samia mit Moschions spätem Geständnis gegenüber seinem Vater, im Dyskolos mit Knemons Rechtfertigungs-und Verzichtsrede, und in der Aspis mit der Rückkehr des Kleostratos. Die einer Komödie zugrundeliegende Struktur wird mit der bloßen Markierung der Peripetie nicht hinreichend erfaßt.

In Auseinandersetzung mit Aristoteles gelangte die peripatetische Literaturkritik zu einem dreiteiligen Handlungsmodell. Sollte dieses, wie verschiedentlich vermutet38, schon auf Theophrast zurückgehen, dann könnte es sogar direkt von Menanders Komödien hergeleitet sein. Bezeugt ist es uns allerdings erst mehr als ein halbes Jahrtausend später, nämlich bei Euanthius und Donat. Die unterscheiden zwei Phasen der Verknüpfung: einen expositorischen Handlungsbeginn als «Darlegung des Tatbestands» oder «anfänglichen Spannungszustand» (πρότασις) und eine zum Höhepunkt der Verwicklungen führende «dramatische Zuspitzung» (ἐπίτασις). Die dann einsetzende «Umkehr» (ϰαταστροφή) entspricht der aristotelischen «Lösung». Ein solcher Dreischritt erweckt den Eindruck des Natürlichen, indem er von einer ersten, Spannung erzeugenden Darlegung kontroverser Standpunkte zu ihrer Konfrontation und weiter von dort zu einem versöhnlichen Schluß führt. – Zwischen diesen drei Phasen der Handlung und den fünf Abschnitten des äußeren Bühnengeschehens besteht ein lebendiges Spannungsverhältnis39.

Die geschilderten Charakteristika der menandrischen Komödien als geschlossener Kunstwerke eröffnen sich dem Philologen bei geduldigem Lesen und Wiederlesen der Texte. Ihre volle Wirkung aber entfalten sie erst im Bühnenspiel. Sicherlich würden wir aufgrund aktueller Theatererfahrungen in mancher Hinsicht fundierter urteilen, doch die Lückenhaftigkeit der überlieferten Stücke beraubt uns dieser Möglichkeit. So zielt unsere gar nicht bescheidene Hoffnung dahin, daß uns in Zukunft weitere vollständige Texte beschert werden, damit Menander – so wie es Aristophanes und den Tragikern zuteil geworden ist – auf der Bühne zu neuem Leben erwacht. Noch sehen sich unsere subventionierten Theater nicht in der Lage, dazu beizutragen; es bleibt darum für die Universitäten (in Genf und anderswo) der Auftrag bestehen, Aufführungen zu wagen40 – solange es noch Studenten gibt, die sich dem Griechischen verschreiben.

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1 Dies der Titel einer kleinen Monographie von H. Herter über die Anfänge der attischen Komödie (Iserlohn, 1947).

2 Arist. Poet. 5, 1449 a 38 f.

3 Zu den Umzügen an den Anthesterien und zum Spott vom Wagen herab, cf. A. Pickard-Cambridge, The Dramatic Festivals of Athens (Oxford, 21968) 12 f. – Zum Margites: Arist. Poet. 4, 1448 b 36 ff.

4 Ob der Tractatus eine Kurzfassung des verlorenen 2. Buches der aristotelischen Poetik ist – so R. Janko, Aristotle on Comedy (Berkeley, 1985); Aristotle Poetics, with the Tract. Coislin., reconstruction of Poetics II, and the fragments of the On Poets (Indianapolis, 1987) –, das bleibe dahingestellt. Die unten S. 32 geäußerte Meinung, der Komödie komme μέγεθος zu wie der Tragödie, widerspricht dem Wortlaut des Tractatus (4). R. Janko (1987) 161 und 213 verweist zwar auf Poet. 1449 a 19, aber die Stelle ist korrupt, cf. H. Patzer, Die Anfänge der griechischen Tragodie (Wiesbaden, 1962), 68.

5 πόρνη 647 und Frg. 7 (jetzt in P. Oxy. 3532/3); dazu πορνοβοσκός 136 (trotz E. Fraenkel, Elementi Plautini 140, n. 1) und ματρυλεῖον 692. – Ebenso selten scortum bei Terenz, das (pace J.N. Adams, RhM 126,1983, 326) eindeutig vulgären Charakter hat: Eun. 424 (nicht von Thais gesagt!) und Ad. 965 (Demea preist als Über-Micio ironisch ein «scortum adducere» als besonderes Verdienst des Sklaven).

6 Zum ersten Theophor. 19 und Sik. 266; zum zweiten Dysk. 891 bzw. Epitr. 576.

7 Chairephon wurde schon in Menanders erstem Stück (Orge) erwähnt: Frg. 304 Kö-Th; cf. Gomme und Sandbach ad Sam. 603. – Zu Kleonymos: W. Rennie ad Acharn. 88, K.J. Dover ad Nub. 353; dazu Eupolis Frg. 352 K-A.

8 Μ. Neumann, Die poetische Gerechtigkeit in der neuen Komödie (Diss. Mainz, Speyer, 1958), ohne Kenntnis des Dyskolos; A. Schäfer, Menanders Dyskolos. Unters, zur dramatischen Technik (Diss. Berlin, 1963, Meisenheim a. Glan, 1965) 63-66; E. Segal, Roman Laughter (Harvard, 1968; Oxford, 1987), cap. 3.

9 W. Kraus, Menanders Dyskolos, SB Öst. Akad. Wiss. 234/4 (Wien, 1960), 20ff. – Einen vergleichbaren Schluß der Messenia vermutet E. Handley aufgrund des Mytilene-Mosaiks: Antike Kunst, Beiheft 6 (Bern, 1970) 52 mit Taf. 4, 4. – In den Schlußversen von Rudens und Stichus ergeht ans Publikum die Aufforderung: comissatum venitote bzw. ite. – Die Tradition seit der Alten Komödie hebt W. Süß, RhM 65 (1910) 450-460 hervor.

10 Kranz und Fackel als Requisiten einer komastischen Feier auch Ar. Plut. 1038ff; Komos und Fackeln galten als typisch für die Komödie: Plut. Lukull. 39, 518b; cf. Radermacher-Kraus (Wien, 1954) 351 ad Ar. Ran. 1524 f.

11 ύποβεβρεγμένοι Dysk. 231, Epitr. 169; μεθύοντες; Asp. 248, Perik. 261.

12 Πανισταί τινες Dysk. 230; μειράϰια πάμπολλα Perik 261 f.

13 Die meisten Notizen betreffen Publikumsreaktionen auf die Tragödie. Reiches aber unsystematisch dargebotenes Material bei H. Kindermann, Das Theaterpublikum der Antike (Salzburg, 1979).

14 Die Geschichte einer literarischen Gattung wird bestimmt von der Spannung zwischen der Autorität eines vorgegebenen Modells und dem individuellen Streben nach Innovation, cf. W. Raible, Was sind Gattungen?, Poetica 12 (1980), 320-349; E.-R. Schwinge, Griechische Poesie und die Lehre von der Gattungstrinität in der Moderne, Antike und Abendland 27 (1981), 130-162.

15 Grundlegend, anhand deutscher Dramen des 18.-20. Jahrhunderts, V. Klotz, Geschlossene und offene Form im Drama (München, 1960, 111985).

16 Eine vieldiskutierte Ausnahme bildet der Schlußabschnitt der Eumeniden, cf. Chr. Meier, Die Entstehung des Politischen bei den Griechen, (Frankfurt, 1983), 144-246; weiter ausholend: Chr. Meier, Die politische Kunst der griechischen Tragödie (München, 1988); zu den Hiketides und Herakleidai des Euripides, cf. G. Zuntz, The Political Plays of Euripides (Manchester, 1955).

17 Soph. OT 896 τί δεῖ με χορεύειν ist ein bemerkenswerter Grenzfall, cf. R.D. Dawe, ad loc.

18 Hierzu gehört die Anrede an den begleitenden Flötenspieler in Dysk. 880, cf. E. Handley und F. Stoessl, ad loc.

19 Am Schluß von Alkestis, Andromache, Bakchai, Helena und (leicht verändert) Medea.

20 H.-J. Mette, Lustrum 10 (1965) 74; J.-M. Jacques, Le début du Misouménos et les prologues de Ménandre, Festschr. A. Thierfelder (Hildesheim, 1974), 71-79.

21 Vergleichbar ist der Arcturus im plautinischen Rudens (nach Diphilos), der durch einen Seesturm die Handlung in Gang setzt.

22 Test. 2 Kö-Th. – W.G. Arnott, RhM 102 (1959), 252-262; Dioniso 43 (1969), 355-360; G. Maurach, Plauti Poenulus (Heidelberg, 1975), 58-61.

23 Ein solcher ist aus der griechischen Komödie nicht bezeugt, cf. F. Stoessl, Art. Prologos, RE XXIII, 2 (1959) Sp. 2382 ff; H.D. Jocelyn, YCS 21 (1969), 102; R.L. Hunter, The New Comedy of Greece and Rome (Cambridge, 1985), 26.

24 Vgl. Ar. Av. 30: ὦνδρες οἱ παρόντες ἐν λόγωι; entsprechend ist Sam. 487 f ἐναντίον τῶν παρόντων als Hinwendung ans Publikum zu verstehen, dagegen Sam. 580 ἰὼ, ᾽νθρωποι>> «o alle Welt» als ein Ausruf ohne Durchbrechung der Illusion.

25 Gomme und Sandbach, ad Dysk. 659.

26 W. Jobst, Die Höhle im griechischen Theater des 5. und 4. Jh. v. Chr. (Wien, 1970), bes. 78-82.

27 Menedemus’ selbstauferlegte Buße, die harte Feldarbeit mit der Hacke (rastri 88), erübrigt sich schon in der zweiten Szene mit dem Auftritt des Sohnes Clinia. Vom 3. Akt an dominiert die gegen Chremes gerichtete Intrige.

28 Das wäre Henri Bergsons «monde renversé». Dazu ausführlich E. Segal, Roman Laughter, cap. 4.

29 Dies zu tun weigert sich ausdrücklich der Sykophantes in Ar. Av. 1432.

30 W. Süß, Scheinbare und wirkliche Inkonsequenzen in den Dramen des Aristophanes, RhM 97 (1954), 115ff, 229ff, 289ff.

31 Szenen aus elf Komödien, alle bis auf eine (Leukadia) mit Angabe des Aktes.

32 W. Beare, The Roman origin of the five-act law, Hermathena 7 (1948), 44-70; erneut in: The Roman Stage (London, 21964), 196-218.

33 Den Wert dieser Angaben hat E. Handley, CQ 3 (1953), 55-61 untersucht; vgl. R.L. Hunter, The Comic Chorus in the Fourth Century, ZPE 36 (1979), 31-33.

34 Eine axialsymmetrische Anordnung von fünf großen Teilen oder thematischen Blöcken hat W. Ludwig, Sapheneia (Diss. Tübingen, 1954), 130 an den Phoinissai beobachtet. A. Lesky, Die Tragische Dichtung der Hellenen (Göttingen, 31972), 455 spricht gerade bei dieser Tragödie von «Akten».

35 Nach Vitruv, De arch. 5, praef. 4 errechnet sich der ideale Umfang eines Aktes aus dem Produkt der ersten drei Kubikzahlen, das ergibt 216 Verse; dazu Gnomon 58 (1986), 682f. – Größere Abweichungen sind möglich: Der 5. Akt der Samia umfaßt 122 Verse, der 2. Akt des Dis Exapaton vielleicht 364 Verse (Gomme und Sandbach, ad Dis Ex. 61).

36 Die Römer taten nur noch ein übriges, als sie den Chor ganz eliminierten und eine actio continua anstrebten.

37 Arist. Poet. 18, 1455 b 24ff.

38 T.B.L. Webster, An Introduction to Menander (Manchester, 1974), 71; A. Blanchard, Essai sur la composition des comédies de Ménandre (Paris, 1983), 56.

39 A. Blanchard, Essai (1983), cap. 1; A. Primmer, Handlungsgliederung in Nea und Palliata. Dis Exapaton und Bacchides (Wien, 1984); R.L. Hunter, The New Comedy of Greece and Rome (1985), 37.

40 Kaum ein Vierteljahr nach der Veröffentlichung des Codex Bodmer wurde am 5./6. Juni 1959 anläßlich der Vierhundertjahrfeier der Universität Genf der Dyskolos in französischer Übersetzung als «première mondiale» aufgeführt. V. Martin, Cnémon le misanthrope, comédie de Ménandre (Editions du Journal de Genève, 1960) dokumentiert den Charme dieser Freilichtaufführung; vgl. P. Photiades, Estudios clásicos 5 (1959), 216-219. – Nur wenig später erfolgte eine Aufführung in italienischer Sprache: D. Del Corno, La «prima» del Misantropo al Teatro Olimpico di Vicenza, Dioniso 22 (1959), 132-135. – Die erste Neuaufführung im griechischen Original fand noch im gleichen Jahre in Sydney statt. – Mitglieder des Göttinger Oberseminars spielten immerhin den 1. Akt auf Griechisch (Dez. 1959), cf. A. Theuerkauf, Menanders Dyskolos als Bühnenspiel und Dichtung (Diss. Göttingen, 1960), 112, n. 6; W.H. Friedrich, Menanders Komödie «Der Misanthrop» (Göttingen, 1963), 13. Zu einer Schulaufführung des Dyskolos in griechischer Sprache (ca. 1966) cf. A. Breuninger, Altsprachlicher Unterricht XXV, 5 (1982), 21-40.